unerhört: Er möchte mit mir nicht zusammenziehen

Unsere Leserin wünscht sich einen gemeinsamen Haushalt mit Ihrem Partner und ein Ende der Fernbeziehung. Doch der will nicht. Hat das eine Zukunft?

Antwort: Steckt nicht so viel Energie in einen – derzeit – nicht lösbaren Konflikt

Nach deiner Schilderung befindest du dich seit einiger Zeit in einer Art Wartesituation. Du hoffst darauf, dass dein Partner seine Meinung und seine Haltung ändert, was er bisher nicht getan hat und scheinbar auch immer wieder betont, in naher Zukunft nicht tun zu wollen. Du beschreibst seine Familiensituation und hoffst, dass er sie irgendwann so unerträglich (wie du) erlebt, so dass er aus seinem „goldenen Käfig“ ausbricht.

Dass er dies nicht tut, gibt mir den Eindruck, dass er es sich in diesem Käfig doch ganz gut eingerichtet hat und eine mögliche Veränderung, also das Zusammenziehen und der Verlust der Unterstützung durch die Oma – ihm noch weniger erträglich erscheint als diese Komfortzone zu verlassen. Kurz: sein Leidensdruck ist nicht so groß, dass er etwas verändern möchte. Hinzu kommt aber möglicherweise auch, dass er seinen Sohn nach dem Verlust seiner Mutter nicht aus der gewohnten Routine herausholen möchte.

Ihr beide als Paar habt – so scheint es zumindest für den Moment – einen unlösbaren Konflikt. Denn ihr könnt nicht „halb“ zusammenziehen. Und letztlich ist eine Fernbeziehung ja genau ein solches Modell, also führt ihr den “Kompromiss” ja bereits. Daher sehe ich für dich derzeit vor allem zwei Möglichkeiten:

Erstens: Du verhandelst mit deinem Partner noch einmal, vielleicht mit externer Unterstützung wie eine*r Paartherapeut*in oder Mediator*in und ihr findet gemeinsam heraus, wo in eurer beiden Grenzen noch Spielraum ist. Wo sind die “Roten Linien”? Wo ist noch Verhandlungsmasse? Wo könnt ihr einander vielleicht auf andere Art eure Bedürfnisse erfüllen?

Was meine ich damit? Vielleicht ist dein Wunsch nach Zusammenziehen ja in erster Linie von dem Bedürfnis nach Sicherheit geprägt, eurer Beziehung einen neuen Rahmen, ein Label zu geben, das Stabilität ausdrückt? Vielleicht vermisst du vor allem spontane Nähe? Vielleicht ist dir auch etwas ganz anderes wichtig. Egal, welches Bedürfnis oder welche Bedürfnisse hinter dem Wunsch des Zusammenziehens stecken: Möglicherweise gibt es auch andere Formen, durch die dein Partner dir das Gefühl einer sicheren Verbindung geben kann.

Offenbar tut er sich sehr schwer. Vielleicht ist sein Wunsch nach Distanz von der Trauer um den Tod seiner früheren Partnerin geprägt und er benötigt seitdem stärker das Gefühl von Autonomie in einer Beziehung … Es ist nicht selten, dass Menschen nach einem solchen Schicksalsschlag eine zeitlang Angst vor Nähe haben, weil sie sich dadurch – bewusst oder unbewusst – vor einer ähnlichen Verletzung in der Zukunft schützen wollen. Ich kann das natürlich nicht seriös aus der Ferne beurteilen, aber ich möchte dich einladen, stärker deine Bedürfnisse und deine tieferen Beweggründe in den Vordergrund zu stellen und weniger das vordergründige „Sach-Thema“ Zusammenziehen. Häufig finden Paare durch diesen Perspektivwechsel neue Möglichkeiten.

Zweitens: Das ist ein Gedankenspiel. Du nimmst einmal den Gedanken an, dass du nicht mit deinem Partner zusammenziehen kannst und wirst. Wenn du dir das vorstellst, frag dich: Was ist an dem Gedanken nicht tragbar? Was könnte den Gedanken erträglich machen? Wie könnte eine Fernbeziehung aussehen, die ihr beide ertragen könntet? Gibt es Beispiele anderer Paare in glücklichen Fernbeziehungen, die euch dabei helfen können, euer eigenes Modell zu finden?

Diese Perspektive ermöglicht zu erkennen, was eure Beziehung und Verbindung heute ausmacht, losgelöst von dem Zusammenziehen. Was ihr im Moment aneinander habt und welche Möglichkeiten sich dadurch auftun. Eine Beziehung ist ja mehr als die gemeinsame Wohnung. Was habt ihr aneinander? Was gilt es zu bewahren und was könnt ihr sogar noch festigen?

Die äußeren Umstände eine Beziehung sind nicht immer perfekt. Doch deshalb etwas aufzugeben, und dies gegen eine – mit größter Wahrscheinlichkeit auch nicht perfekten – Alternative zu tauschen, das sollte gut abgewogen werden.

unerhörtehrlich

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