unerhört: Der Richtige zum falschen Zeitpunkt

Unser Thema in dieser Woche: Ein Fall von unbewusster Bindungsangst. Jahrelang bemüht sie sich um ihn. Doch als er sich ihr endlich zuwendet, bekommt sie Panik

Antwort: Ihr Bindungssystem ist verwirrt und Ihre unbewusste Bindungsangst drückt sich aus in Beklemmungsgefühl und Verwirrung

Was Sie beschreiben könnte Zeichen einer unbewussten Bindungsangst sein, allerdings müssten Sie das – am besten mit einem Experten in Ihrer Nähe – noch einmal überprüfen. Aus der Ferne ist das seriös nicht zu beurteilen, allerdings deutet sehr viel darauf hin.

Sie schreiben beispielsweise, wie Sie nach wenigen Eindrücken bereits sicher waren, dass ein Mann, der von Anfang an eher unerreichbar wirkte (denn er war ja immer an anderen Frauen interessiert), der „Mann Ihres Lebens“ sei. Das ist eine sehr schnelle und sehr weitreichende Einschätzung, die außer Anziehungskraft beim ersten Eindruck zunächst keinen Beleg findet. Sie konnten da nicht wissen, ob Sie zueinander passen, wie Sie sich in Krisensituationen gegenseitig unterstützen könnten, wie Sie gemeinsam mit Konflikten umgehen würden: all die Sachen, die Beziehungen im Alltag ausmachen.

Sie schreiben auch: „Ich war traurig und wollte so gerne verstehen, woran es gelegen hatte, was ich falsch gemacht hatte.“ Dahinter verbirgt sich nach meiner Einschätzung ein Glaubenssatz, der sogenannte ängstliche Bindungstypen auszeichnet, nämlich: „Ich muss mir Mühe geben, um liebenswert und liebenswürdig zu wirken.“ Diese Mühe können sich ängstliche Bindungstypen jedoch meist nur geben bei einem Partner, der schwer oder gar nicht erreichbar ist. Denn die Kehrseite ist: Viele ängstliche Bindungstypen finden Partner, die erreichbar sind oder sich womöglich sogar Mühe um sie geben, im besten Falle langweilig oder sogar verstörend.

Nach meiner Einschätzung erleben Sie gerade genau das: Ihr Schwarm bemüht sich um Sie – und Ihr Glaubenssatz, Sie müssten sich Mühe geben, ist nicht mehr gültig. Ihr Bindungssystem ist verwirrt und Ihre unbewusste Bindungsangst drückt sich aus in Beklemmungsgefühl und Verwirrung. Was können Sie tun? Ich empfehle Ihnen das Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl. Das gibt es auch als Arbeitsbuch. Hier Sie finden auch ein Interview mit der Autorin. Ich selbst verwende in meiner Arbeit mit Klienten Ansätze aus diesem Buch und erlebe es als ausgesprochen hilfreich.

Häufig ist das Erkennen des eigenen Bindungsverhalten bereits ein Aha-Moment, der viele Verhaltensweisen und Emotionen erklärt, die Sie zuvor verstört haben. Sie fragen, was können Sie tun? Eine ganze Menge – sobald Sie sich über Ihre Gefühle, Ihr Bindungssystem und Ihre Glaubenssätze bewusst geworden sind. Ihr Bindungsverhalten ist geprägt durch Ihre Bezugspersonen in der frühen Kindheit und auch durch Ihre Beziehungshistorie. Es ist aber durchaus formbar. Es gibt keinen Grund, dass Sie nicht eine glückliche Beziehung führen könnten. Doch je mehr Sie über Ihren eigenen Bindungsstil wissen, umso leichter werden Ihnen die Partnerwahl und auch das Beziehungsleben fallen.

unerhörtehrlich

Ihr habt auch eine Frage zu eurer Beziehung? Dann schickt sie uns und wir antworten.


Weitere interessante Beiträge