Was stört deinen Freund wirklich?
In deinem Fall scheint zunächst der Konfliktauslöser die Tatsache zu sein, dass dein Ex-Partner kein Freund, sondern eine Affäre war, denn er war verheiratet und damit eigentlich unerreichbar als Beziehungspartner. Warum ich das so ausdrücke, weil ich vermute (ich kenne euch nicht, ist nur eine Vermutung), dass hier dein Partner den Unterschied macht zu deinen anderen Partnern, mit denen du vielleicht Beziehungen geführt hast. Das bedeutet: möglicherweise ist deinem Freund die Vorstellung nicht so recht, dass du mit jemandem intim warst, obwohl du mit ihm keine Zukunft hättest haben können. Also, dass es bei dieser Affäre vor allem um Körperliches ging. Dass du in andere verliebt warst, das kann er vielleicht nachvollziehen, aber dass du nur Sex mit anderen hattest, das verändert das Bild, das er von dir hat. Das könntet ihr einmal hinterfragen, vielleicht stehen da unausgesprochene Ängste im Raum.
Vielleicht ist auch in der Wertevorstellung deines Partners Treue so hoch angesiedelt, dass er es sehr verwerflich findet, dass jemand, der vergeben ist, mit einer anderen Person intim wird, die nicht seine Frau ist. Das wäre nachvollziehbar, wäre seine Reaktion darauf nicht, er wolle nun dich betrügen. Das wäre reichlich bigott und, bitte verzeih, verlogen und dermaßen unlogisch, dass ich das eigentlich eher für unwahrscheinlich halte.
Würde er das tatsächlich als Grund für seine geplante Untreue angeben, es wäre auf jeden Fall nicht sonderlich konsequent und nun ja, ich denke mal, vorgeschoben. Es zeugt doch von sehr großer Hilflosigkeit zu sagen: Weil du mal eine Affäre eines Mannes warst, habe ich als dein Partner keinen Sex mehr mit dir, sondern nur noch mit anderen Frauen. Um das zu sagen und vor alle dann auch umzusetzen, da muss man wirklich gar keine Argumente mehr haben. Und die Frage ist vor allem: Warum trennt er sich dann nicht von dir?
Oft geht es nicht um die Sache an sich, sondern um die Emotionen dahinter
Und mit den Argumenten komme ich auch zum eigentlichen Thema. Was ihr da extrem schlecht verhandelt, ist kein Sachthema. Es geht nicht darum, was wer wann gemacht hat und ob das gut, schlecht, moralisch oder einfach nur geil war, es geht um Emotionen. Das Ganze ist ein Gefühlsthema. Es geht um eure Sorgen: Ist diese Person die Richtige für mich? Kann ich so jemandem vertrauen? Kann mir das selbst auch passieren?
Wahrscheinlich habt ihr euch lange und oft Argumente an den Kopf geworfen, um euch gegenseitig jeweils vom eigenen Standpunkt zu überzeugen. Das hat ganz offensichtlich nicht funktioniert. Weil es nicht um Argumente ging, sondern um Emotionen. Und nicht um die obere Schicht von Emotionen, wie beleidigt sein, verärgert sein, empört zu sein, sondern um die ganz tiefe Schicht, die so genannten primären Emotionen. Also um Angst, Furcht, Scham. Hierauf solltet ihr einen Blick werfen, denke ich.
- Was macht das Thema mit euch?
- Welche Gefühle erzeugt es?
- Welche Ängste beeinflussen euch?
- Welche Erinnerungen an tiefe Verletzungen werden da wieder hervorgeholt?
Werdet euch über eure Gefühle klar und ihr kommt ganz sicher weiter als mit Argumenten. Im besten Fall werdet ihr Verständnis füreinander entwickeln für eure Wünsche und eure Ängste und dann könntet ihr darauf aufsetzend versuchen herauszufinden, für welche Bedürfnisse diese Ängste stehen. Also wenn es um Verlustangst geht bspw. was dir Sicherheit geben könnte. Oder ihm? Und darüber verhandelt ihr dann. Wenn ihr euch nicht auf diese emotionale Ebene hinab wagt, dann führt ihr mit diesem “Sex mit anderen Frauen-Dings” einen Stellvertreterkrieg. Der bringt euch erfahrungsgemäß ganz gewiss nicht voran.
Ist das wirklich der (richtige) Mann fürs Leben?
Und damit zum letzten Aspekt, der mich am meisten verwundert hat. Du schreibst: “Er ist doch der Mann, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will.”
Ich kenne dich nicht, aber da möchte ich widersprechen. Offensichtlich ist es doch so: FALLS dein Partner sich verändern würde, DANN WÄRE er dieser Mann. Aber NOCH ist er das nicht. NOCH ist er ein Mann, der dich zum Weinen bringt und der dafür sorgt, dass du an deiner eigenen Wahrnehmung zweifelst und Hilfe und Unterstützung suchst. Mir scheint: Du hast ein Wunschbild dieses Mannes vor Augen, das er in der Realität nicht ist, vielleicht wirklich NOCH nicht ist, vielleicht aber auch NIE sein wird.
Dein Partner sagt: “Weil du mal eine Beziehung hattest mit einem anderen Mann, der verheiratet war, gehe ich jetzt fremd und mir ist egal, was du dazu sagst. Und Sex mit dir habe ich auch keinen mehr.”
Bist du dir da ganz sicher, dass er der Mann ist, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen willst? Warum?
Nun habe ich nur deine Seite der Geschichte gehört, ganz sicher wäre auch seine Perspektive interessant. Aber die haben wir nun einmal jetzt nicht. Deshalb möchte ich dich fragen: Was wäre, wenn dein Partner seine Haltung nicht ändert? Wäre er dann immer noch der Mann, mit dem du dein Leben verbringen möchtest? Denn diese Option besteht. Und dann musst du dir überlegen, welche Konsequenzen du ziehen möchtest und kannst.
unerhörtehrlich
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