Das nächste Mal sah ich sie zu meiner Bachelorfeier wieder. Es war der Monat, in dem ich mir zum ersten Mal im Leben eine Antifaltencreme kaufte – prophylaktisch, redete ich mir ein –, und feststellte, dass ich Rotwein doch lieber trinke als Bier.
Ich war ein durchschnittsrebellisches Provinzmädel in der großen Stadt geworden. Nix Besonderes, aber auch kein Griff ins Klo. Ich fiel in Berlin nicht weiter auf. Auch der Liebe nicht. Es blieb bei diesen kurzen Episoden des „Ich find dich echt gut“ – „Sag mal, wie stellst du dir das eigentlich vor mit uns beiden?“ – „Ach, echt? Ich hatte gedacht, dass …“ – „Richtig, das ist ein Plusquamperfekt, glaub ich zumindest.“ – „Du, alles gut, macht doch nix, kann ja nicht immer klappen.“ – „Stimmt, wir sind ja noch jung, da sagst du was!“ Na ja, so war das halt.
Und dann verdrückte ich halt ein paar kleine Tränchen (irgendwann gewöhnt man sich da voll dran), kaufte mir ein … einen Rotwein. Ging Tanzen, Feiern, traf meine Kiezhood und studierte und jobbte weiter. Irgendwann kam die WG-Katze dazu (Flocke, weil sie so Schneeweiß war) und ich fing an, auf meiner Fensterbank Kräuter zu ziehen. Ich schämte mich nicht einmal dafür. Draußen wechselten sich derweil die Jahreszeiten ab, aber in der Großstadt kriegt man davon ja nicht allzu viel mit.
Irgendwie wurde in dieser Zeit endgültig alles digital und Youtube wurde meine Busenfreundin. Auch diese Apps probierte ich aus, aber irgendwie wollte die Liebe nicht so, wie ich es wollte. „Auch eeeeeeg-aaaal“ seufzte ich und stellte in unserer WG-Küche fest, als meine MiBeWo_in Nummer 44 oder so (unsere Fluktuationsrate war recht hoch) gerade Spinatsuppe kochte, dass ich gerne endlich alleine wohnen wollte. So krasse Fantasien mit Mann, Kindern und Apfelbaum hatte ich inzwischen ganz aufgegeben. Man kann ja nicht alles haben, war mein Motto geworden.
Für den Master brauchte ich weitere vier Jahre. Immerhin: Eins davon verbrachte ich im Ausland. War eine echt gute Zeit, auch wenn ich danach fünfzehntausend Piepen Schulden hatte. Ach, das würde ich bald abbezahlt haben. Wobei, ich hatte etwas Geisteswissenschaftliches studiert. Aber „bald“ ist ja relativ.
Meine Freunde schenkten mir zu meinem Dreißigsten einen Ausflug an die Ostsee. Dort saß ich dann an einem kalten Frühlingstag in eine Decke eingehüllt, während der Joint rumging und ich einen Melancholischen hatte. War eigentlich ganz schön. Aber wo waren all die Jahre hin? Mein langes Jahrzehnt, von neunzehn bis Anfang dreißig. Scheiße, ich war dreißig geworden. Die blöde Ostsee lag einfach nur still da und sagte nichts dazu. War ihr wohl völlig Latte.
Das war vor etwa einem Jahr. Inzwischen habe ich meine Zertifikate, ohne die es in dieser Welt scheinbar nicht mehr geht, habe meinen Job gegen einen richtigen Job eingetauscht (von Beruf würde ich ehrlich gesagt noch nicht sprechen) und wohne das erste Mal in meinem Leben alleine. Flocke habe ich mitgenommen. Ihr Lieblingsplatz ist natürlich die Fensterbank. Der Geruch der Kräuter scheint sie nicht zu nerven. Wir sind eigentlich ganz zufrieden, wir beiden. Nur das mit der Liebe, das habe ich noch immer nicht verstanden.
Mit Berlin scheint irgendetwas los zu sein?! Das findet zumindest auch unsere Autorin Jule Blogt in ihrem Beitrag Jeder sucht, aber niemand findet – Berlin als Hauptstadt der Einsamkeit.