Wie sage ich ihm, dass ich ihn vermisse?

Zu sagen, ich vermisst ihn oder sie, ist für manche undenkbar. Dabei ist es ein Kompliment und ein Commitment. Traust du dich?

Verlustangst trifft Bindungsangst

Menschen, die sich Liebe regelrecht verdienen wollen, die immer den Eindruck haben, sie seien nicht gut genug, werden psychologisch auf der Seite der verlustängstlichen Bindungstypen verortet. Menschen, die hingegen überzeugt sind, sie könnten sich nur auf sich selbst verlassen und Nähe würde verletzbar machen, auf der Seite der bindungsängstlichen Typen. Diese Typen ziehen einander gegenseitig an, können aber nicht gut miteinander. Die ängstlichen geben sich richtig Mühe, was den vermeidenden Typen sehr gut gefällt, denn dies ist ja – in ihrer Wahrnehmung – ein Zeichen von Interesse, was die Furcht vor Verletzung zumindest zeitweise reduziert. Allerdings achten die vermeidenden dennoch genau darauf, wie viel Nähe sie zulassen. Wird es zu eng, gehen sie auf Distanz. Dies wiederum inspiriert die ängstlichen Typen, noch eine Schippe Mühe draufzulegen und noch mehr Nähe zu suchen. 

In Beziehungen führt diese Dynamik zu einem „Tanz“, wie das in der Emotionsfokussierten Paartherapie genannt wird. Bei der Partnersuche führt sie zu Frust, zu Verletzungen und zu zahlreichen Schutzstrategien, die genau diese Folgen vermeiden sollen. Die Partner geraten dadurch in einen Kreislauf, der auch manchmal „toxische Beziehung“ genannt wird, weil es scheinbar keinen Ausweg gibt. Im schlimmsten Fall gibt sich ein Partner für den anderen auf oder einer bestimmt ganz alleine über die Nähe in der Beziehung, weil er oder sie die Hoheit über die Intensität der Verbindung für sich beansprucht.

Wer vermisst, zeigt sich verletzlich

Neben den ängstlichen und vermeidenden Bindungstypen gibt es auch die sicheren. Denen ist meist diese ganze nah und doch so fern–Dynamik schwer nachvollziehbar. Sie finden es ganz normal, einander mal zu vermissen und mal einander auf die Nerven zu gehen und machen da kein Thema draus. Diese Gruppe ist so groß wie die beiden anderen zusammen. Allerdings sind die nahezu durchgängig in Beziehungen und nicht so einfach zu finden. Und weil sie sich auf diese Dynamik nicht einlassen, sind sie für die anderen schlicht langweilig. Denn weder geben sie sich übertrieben Mühe und erhöhen dadurch nicht das verletzte Selbstbewusstsein der Bindungsängstlichen, noch machen sie auf rar und unverbindlich und aktivieren dadurch nicht das Interesse der Verlustängstlichen, sich ihre Liebe verdienen zu müssen. Konkret sind die sicheren Bindungstypen für verlustängstliche und bindungsängstliche jene, die „sich für mich interessieren, aber die ich nicht interessant finde.“ Und umgekehrt sind für sichere Bindungstypen die anderen eher im neurotischen Spektrum angesiedelt.

In diesem wirklich komplexen Zusammenspiel von Bedürfnissen und Zurückweisungen ergeben sich also zahlreiche Fallen: Zeige ich zu viel Interesse, wirke ich verlustängstlich und ziehe vor allem bindungsängstliche Partner an. Keine gute Idee. Zeige ich mich abwartend, wirke ich bindungsängstlich und ziehe vor allem verlustängstliche Partner an. Bringt ja auch nichts. Und je länger ich bereits auf Partnersuche bin, umso unwahrscheinlicher ist, dass ich auf der sicheren Seite stehe. Denn mit jeder negativen Erfahrung verstärke ich noch meine Verhaltensweisen in die eine oder andere Richtung, je nach Prägung eben. 


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