Diese Namen zeigen, wie nah sie dem Gedanken von Platon sind. Diese Bezeichnungen legen aber auch eine Romantisierung des Leids nahe, die sich hinter der Dynamik von aktiver und passiver Bindungsangst verbirgt. In der US-amerikanischen Szene heißen die ängstlichen Bindungstypen “Chaser”, also Jäger oder Verfolger und die vermeidenden Typen “Runner”, die Läufer. Sie ergänzen sich in ihren Bedürfnissen, kommen aber nicht zueinander. In extremen Ausprägungen sprechen Therapeuten sogar von Persönlichkeitsstörungen wie Narzissmus und Borderline. In extremen Ausprägungen führt diese Dynamik zu toxischen und dysfunktionalen Beziehungen, die schwer verletzte Partner zurücklässt, die ohne therapeutische Hilfe oft niemals wieder eine gleichberechtigte Partnerschaft eingehen können. Der Gedanke, der sich hinter Twinsouls, Zwillingsseelen und Dualseelen verbirgt, kann also in emotionale Abhängigkeit führen. Emotionale Abhängigkeit ist ein Suchtverhalten und keine Liebe.
Die Dualseelen-Idee glorifiziert Leid als Liebesideal. Ich habe dazu Stefanie Stahl, Psychotherapeutin und Bestseller-Autorin befragt. Die Spezialistin für Bindungsangst sieht das Problem, dass die Betroffenen auf der Stelle treten, während sie auf ein höheres Prinzip hoffen. „Das ist nur ein Hoffen, es ist kein Wissen und basiert auf keiner realen Basis. Damit geben die Betroffenen ihre Verantwortung ab. Das heißt, sie sind nicht mehr motiviert, ihren eigenen Anteil an dieser Dynamik zu reflektieren“, so Stefanie Stahl. Wenn der Betroffene keine Veränderung sucht, sondern nur immer wieder Bestätigung, wird er unabhängig vom Leid so weitermachen wie bisher.
Bereits in den frühen 90er Jahren wurde der Begriff der passiven Beziehungsverweigerung geprägt. Dahinter verbirgt sich eine nicht bewusste Bindungsangst, die sich dadurch zeigt, dass der Betroffene vor allem nicht erreichbare Partner begehrt, sich für sie opfert, aufgibt – und immerzu Distanz bewahren kann ganz ohne Schuldgefühle. Keinesfalls ist jeder, der von Seelenverwandten oder Dualseelen spricht, betroffen. Doch es lohnt ein Blick, die Gefühle zu hinterfragen, wenn “running” und “chasing” als Liebe verkauft werden. Denn ist die vermeintliche Liebe zu einem Partner, der keine Beziehung wünscht, nicht vielmehr Sehnsucht statt Bindung?
Stefanie Stahl gibt regelmäßige Seminare über Bindungsangst. Sie sagt: „Normalerweise sprechen wir in diesem Zusammenhang von aktiver und passiver Bindungsangst: einer flüchtet, der andere rennt hinterher. Wenn man nun dies auf ein esoterisches Prinzip erhöht, versperren wir uns Möglichkeiten, für unser heutiges Leben zu reflektieren, was da gerade geschieht und wir verhindern, dies auf eine gesunde Art und Weise aufzulösen.“