Stellen Sie sich Ihre Stärken vor wie einen Werkzeugkasten. Sind Sie und Ihr Partner sich sehr ähnlich, dann haben Sie zwei Werkzeugkästen – mit denselben Werkzeugen. Im Falle einer nötigen Reparatur sind Sie also als Paar doppelt ausgestattet mit Tools. Super, wenn diese Tools für den Reparaturfall passen. Schlecht, wenn es ein anderes Werkzeug bräuchte. Ein Paar mit unterschiedlichen Stärken dagegen verfügt über zwei Werkzeugkästen mit verschiedenen Tools. Sie haben also mehr Werkzeuge zur Verfügung, um reparieren zu können. Das ist ein existentieller Vorteil – wenn die Partner ihre Unterschiede tatsächlich als Ergänzungen verstehen. In der Praxis bedeutet dies, dass sie sehr respektvoll die Andersartigkeit des Partners wertschätzen und zulassen können, dass sowohl der andere Lösungsweg des Partners als auch dessen Fähigkeiten zu einem guten, vielleicht sogar besseren Ergebnis führen könnten als der eigene. Das klingt nicht nur anspruchsvoll, das ist es auch und in der Paartherapie wird viel Zeit darauf verwendet, Respekt und Verständnis füreinander zu entwickeln. Denn gerade Paare, die sich sehr ähnlich fühlten, erfahren in Krisensituationen große Angst vor den Unterschieden, die sich dann zeigen.
Die Dynamik des Bindungsverhaltens
Die Bindungstheorie von John Bowlby sagt: Weil Menschen als Babys Zuwendung und Bindung benötigen, entwickeln sie ein überlebensnotwendiges Bedürfnis nach Bindung zu anderen Personen. Dazu wurde getestet, wie Babys und Kleinkinder reagieren, wenn ihre Bezugsperson kurz den Raum verlässt. Sie zeigen vor allem drei Verhaltensweisen:
- Sie bemühen sich intensiv um Aufmerksamkeit.
- Sie spielen ungerührt weiter.
- Sie ziehen sich in sich selbst zurück und schotten sich ab.
Die Auswirkungen auf die Partnersuche und Partnerwahl im Erwachsenenleben ist immer noch Bestandteil von Untersuchungen, aber die Dynamik zeigt sich beispielsweise deutlich in der Emotionsfokussierten Paartherapie nach Dr. Sue Johnson oder auch bei modernem Single-Coaching: alle Paare haben eine eigene Forderungs-Rückzugs-Dynamik, die auf dem Bindungsverhalten basiert.
Wie ist diese Dynamik? Stellen Sie sich das Bindungssystem wie ein Kontinuum vor. Auf der linken Seite ist die Verlustangst. Sie stammt aus der Überzeugung: „Ich bin nicht gut genug. Ich muss mir Liebe verdienen.“ Verlustängstliche Menschen vergleichen sich häufig mit anderen und werten sich selbst ab. Bei der Partnerwahl fühlen sie sich deshalb von vermeintlich starken, selbstsicheren Personen angezogen. In der Mitte sind die Personen mit sicherem Bindungsverhalten, sie fühlen sich weder durch Nähe noch durch Distanz bedroht und blicken meist verwundert auf das Gefühlsdrama, das die anderen durchmachen in ihrer Partnersuche und Partnerschaft. Sie sind auch selten Single. Auf der rechten Seite ist die Bindungsangst. Sie stammt aus der Überzeugung: „Meine Selbstkontrolle und Autonomie ist mein höchstes Gut. Ich will mein Ich nicht verlieren.“ Bindungsängstliche Menschen fürchten, in einer Beziehung im WIR aufgesogen zu werden. Sie fühlen sich angezogen durch verlustängstliche Menschen, weil die sich um sie bemühen und dadurch ihren Selbstwert erhöhen. Kommen diese ihnen jedoch zu nahe, dann ziehen sie den Rückzug an.
Unser Selbstwertgefühl ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Bindungssystems. Ist der Selbstwert verletzt, entwickeln wir Schutzstrategien, um weitere Verletzungen und Erinnerungen an Verletzungen zu vermeiden. Jede Trennung sorgt für eine Verletzung des Selbstwertes. Verletzter Selbstwert steuert die Schutzstrategien, die sich in Bindungsangst und Verlustangst zeigen. „Ich kann mich nicht binden“ ist eine solche Strategie, ebenso wie „Ich kann nicht vertrauen.“ Das sind ganz typische Überzeugungen, die die Partnerwahl sabotieren.
Menschen mit einem sicheren Bindungssystem würden eine verbindliche Beziehung immer einem anderen Beziehungsmodell vorziehen oder diese abbrechen, sobald klar wäre, sie könnten mit einem zurückweisenden Partner nicht die nächste, verbindliche Stufe erreichen. Denn ihr Selbstwertgefühl ist hoch und sie sagen: „Ich bin es wert, geliebt zu werden ohne Abstriche.“ Deshalb sagt vor allem das Bindungssystem, wer zu uns passt und wer nicht. Sicher passt zu ängstlich und vermeidend und natürlich sicher. Ängstlich und vermeidend ziehen sich an, bei extremen Ausprägungen jedoch wird die daraus entstehende Forderungs-Rückzugs-Dynamik unerträglich.