„Sie verlässt mich wenigstens nicht“
Andererseits kann es natürlich auch ein gut durchdachter Schachzug sein, sich, gemessen an den eigenen Ressourcen, einen weniger potenten Partner zu suchen. Zum Beispiel in der Hoffnung, dass der Partner einen nicht – für jemand anderen – verlassen wird. Diese Hoffnung ist nicht ganz unbegründet, denn eine Partnerin, die auf dem Partnermarkt sehr begehrt ist, kann sich letztlich aussuchen, mit wem sie zusammenbleiben will. Es kostet also mehr Energie, sie an sich zu binden. Umgekehrt gibt sich die weniger attraktive Frau mehr Mühe, die Beziehung zu erhalten, es wird also entspannter für den Mann. Vielleicht ist der Bruder der Freundin aus unserem Eingangsbeispiel eher der bequeme Typ und will es sich so möglichst gemütlich in der Beziehung einrichten? Dummerweise sind die Chancen, dass das lange gut geht, doch eher bescheiden. Das zeigt nicht nur unser Beispiel.
Verliebt sieht eh´ keinen Makel
Eine rational und allein auf die Ressourcen beschränkte Sicht auf Partnerwahl und Partnerschaft kann natürlich nicht alles erfassen. Wie ist es mit Gefühlen, mit dem Verliebtsein? Wenn man schon in der Anfangsphase einer Beziehung, die sich eigentlich durch die romantische Verklärung und Überhöhung des Partners auszeichnet, einen so nüchternen Blick auf das Attraktivitätspotential seines Gegenübers hat, dann kann es mit dem Verliebtsein nicht weit her sein. Es sind ja unsere großen Gefühle, die uns helfen, über Makel hinwegzuschauen oder sie nicht mehr wahrzunehmen. Es ist sozusagen die Leistung der Endorphine, alles viel schöner zu sehen, als es in Wirklichkeit ist. Und das ist gut so. Das mit dem objektiven Blick kommt leider ohnehin von selbst und früh genug. Eben wenn die Beziehung nicht mehr nur durch die berauschende Anfangseuphorie getragen wird, sondern durch Vertrautheit, Gemeinsamkeit und das Teilen des Alltags. Die Erfahrung zu machen, dass das mindestens genauso schön sein kann, und dass trotz der Makel und Eigenheiten des Anderen, dahin muss es eine Partnerschaft erstmal schaffen. Genau dies ist die eigentliche Beziehungsleistung. Das funktioniert aber nur mit einem gleichberechtigten Partner. In jeder Hinsicht gleichberechtigt.
(1) https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0956797615579273
(2) https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19213/1/Riordan_Patrick.pdf
(3) https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19213/1/Riordan_Patrick.pdf, S. 163