Wo versteckt sich eigentlich die Liebe?
„Dating frustriert mich“, klagen viele meiner Klienten. „Ich habe keine Lust mehr auf diesen Zirkus. Aber wie soll ich denn sonst jemanden kennenlernen?“ Und ich kann die Frustration verstehen. In der Beratung erlebe ich sie häufig und ich sehe die vielen Verletzungen, die Zurückweisungen hinterlassen. Wie aus Optimismus quälende Verzweiflung wird, wenn der neue, vielversprechende Kontakt sich dann doch nie wieder meldet. Wenn wieder nach drei Wochen der Satz fällt: „Ich glaube, wir passen nicht zusammen.“ Wenn auf drei liebevolle Textnachrichten ein plumpes Dick-Pic folgt. Wenn nach zwei Monaten eine Voice-Message sagt: „Ich weiß nicht, ob ich bereit bin für eine Beziehung.“
Wir führen heute mehr Beziehungen als unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern zusammen, manche dauern nur Wochen, andere Monate – aber alle enden mit einer Trennung, die schmerzt und Narben im Selbstwertgefühl hinterlässt. Es ist kein Geheimnis, dass nur dann eine Beziehung aus einem Kontakt entstehen kann, wenn sich beide vorstellen können, miteinander in zehn Jahren auch noch glücklich sein zu können und viel Spaß miteinander zu haben.
Doch wie soll man Zuversicht und Lebensfreude vermitteln, wenn von zehn Dates die eine Hälfte ganz furchtbar langweilig und die andere entsetzlich unverbindlich ablaufen? Die sich selbst erfüllende Prophezeiung ist keine neue Erkenntnis, wer weiß nicht, dass ein Treffen, von dem man nur das Schlimmste erwartet, kaum anders ausgehen kann als eben schlimm?
Auch wenn es Kontaktanzeigen und Partnervermittler schon einige Jahre gibt, grundsätzlich ist die Art, wie wir heute einen Partner suchen und wählen und vor allem die Gründe, weswegen wir eine Beziehung eingehen, etwas ganz Neues. Liebe als Grund einer Ehe? In der Geschichte der Menschheit hat das eher keine Tradition, sondern ist ein Novum, das vor allem mit der zunehmenden Gleichberechtigung der Frau begann. Eine Frau wurde nicht mehr verheiratet, sie durfte bei der Partnerwahl mitsprechen, konnte schließlich selbst wählen und ist heute letztlich die Entscheiderin, denn sie muss nicht länger einen Mann suchen, der ihren Status verbessert (es gehen heute mehr Akademikerinnen von der Uni ab als Akademiker) und kann sich somit für die Beziehung und das Beziehungsmodell entscheiden, das ihr gut tut.
Ja, alles hat mit dem Internet zu tun
Noch eine Veränderung hat die Partnerwahl und die Partnersuche beeinflusst: das Internet. Es gab niemals so viele Möglichkeiten neue Menschen zu kontaktieren und später kennenzulernen wie heute durch Online Dating. Wir sind dank unserer Smartphones 24 Stunden am Tag Online und es wäre furchtbar, würden wir dort, wo wir uns aufhalten, nicht auch Beziehungen knüpfen können.
Menschen suchen Bindung, sie brauchen Geborgenheit und Vertrautheit und Online Dating bietet die einzigartige Chance, Liebe zu finden außerhalb des eigenen Trampelpfades von Freundeskreis, Arbeits- und Ausbildungsumfeld oder Freizeit. Und das zeit- und ortsunabhängig. Ein Segen für alleinerziehende Elternteile. Eine Chance auf einen zweiten und dritten Frühling für Senioren, die ihre Partner verloren haben. Ganz ohne Ausgehstress und peinlichen Kuppel-Partys.
In nicht einmal 25 Jahren Internet hat sich die Partnersuche, die sich in den vergangenen 200 Jahren bereits vollständig verändert hatte, noch einmal ganz neu entwickelt. Wie sieht die Zukunft des Online Dating aus? Aber können unsere Gefühle, unsere Wünsche und Hoffnungen, unsere Erwartungen und Vorbilder bei diesem Tempo mithalten? Nein. Wie könnten sie auch. Und so projizieren immer mehr Singles ihre Hoffnungen auf eine lebenslange, glückliche Beziehung auf vermeintliche Traumpartner, die diesen Erwartungen natürlich nicht standhalten können.