Laut Studien fühlen sich viele Frauen unbewusst zu Männern mit Bärten hingezogen. Grund genug für Bartverweigerer Thorsten Wittke, ein Experiment zu wagen und die Barthaare mal sprießen zu lassen, um so attraktiver für die Frauenwelt zu werden
„Ein Kuss ohne Bart ist wie eine Suppe ohne Salz.“ Mit diesem Spruch rechtfertigte mein Vater in meiner Kindheit seinen Gesichtspullover, während meine Mutter augenrollend daneben stand. Ich konnte ihre Abneigung gegen die Gesichtsbehaarung gut verstehen. Mein Großvater machte sich seit meiner frühesten Erinnerung einen Spaß daraus, Umarmungen seines Enkels damit zu beenden, dass er seine Dreitage-Bart-Wange an meiner rieb, was eher schmerzhaft als schön war. Mit seinen Stoppeln hätte man ohne Schwierigkeiten verbrannte Reste aus Töpfen kratzen können. Eine Erfahrung, die meine Mutter sicherlich auch schon sehr früh ertragen musste.
Dermaßen vorbelastet ging ich die meiste Zeit meines Lebens glattrasiert durchs Leben. Gelegentliche 6-Tage-Bart-Versuche, um einen gewissen Coolnessfaktor zu erlangen, wurden meist von einem furchtbaren Juckreiz am Kinn vereitelt, der mich zur Klinge greifen ließ, weil es einfach nicht auszuhalten war. Außerdem plagte mich das schlechte Gewissen, wenn meine jeweilige Partnerin in solchen Phasen mit einem signalroten Kinn durch die Weltgeschichte lief und sich anzügliche Bemerkungen und Scherze von ihrem Umfeld gefallen lassen musste.
Lange Zeit funktionierte das gut. Bärte waren nicht en vogue, keiner vermisste sie und bis auf ein paar Schrate in ländlichen Gebieten ließ sie sich auch niemand sprießen. Doch dann änderten sich der Zeitgeist und die Mode. Täglich begegneten mir mehr Bärte auf der Straße. Anfangs lachte und spottete ich noch darüber, weil die wenigsten der Typen das Zeug zu einem echten Vollbart hatten. Ich fand es albern, wenn diese Knaben mit Löchern im Bart in ihren Holzfäller-Hemden rumliefen, aber praktisch keine Ahnung hatten, wie man eine Stichsäge ansetzt. Ich war der festen Überzeugung, dass ein bisschen Gestrüpp am Kinn keinen Kerl ausmacht und Männlichkeit nicht über das Outfit definiert wird. Deshalb weigerte ich mich lange Zeit, bei diesem Quatsch mitzumachen.
Aber auch ich konnte irgendwann nicht mehr ausblenden, dass bei diesen Jungs, egal wie peinlich ihre Bärte waren, etwas anders lief als bei mir. Im Gegensatz zu mir hatten sie Dates. Während sich meine Match-Quote auf den einschlägigen Portalen im Promillebereich abspielten, plagten die Bartträger mittlerweile Schwierigkeiten, ihre Verabredungen im Kalender unterzubringen. Auch in freier Wildbahn hielt sich mein Erfolg, im Vergleich zu den Männern mit Gestrüpp im Gesicht, in überschaubaren Grenzen, so dass es an der Zeit war, mich mal ernsthaft mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen.
Die Wissenschaft hatte das bereits getan und Studien dazu durchgeführt. So nahm ich mit Staunen zur Kenntnis, dass viele Frauen sich unbewusst zu Männern mit Gesichtsbehaarung hingezogen fühlen und sie als geeigneter für Langzeitbeziehungen halten. In Tests schnitten Männer mit Bart, subjektiv beurteilt, besonders gut ab, was die Bewertung ihrer Attraktivität anging und waren erste Wahl, wenn es um die Einschätzung ging, ob sie für lange und stabile Beziehungen geeignet seien. Glattrasierte oder Stoppelbartträger lagen beim Ranking nur dann vorne, wenn Kurzzeitbeziehungen oder Abenteuer gefragt waren. Erklärt wurden diese Ergebnisse damit, dass ein Bart eine gewisse geistige Reife und soziale Dominanz signalisiere. Weiter wurde auch festgestellt, dass Männer mit einer männlich kantigen Kinnpartie durch einen Bart ihrem Gesicht eine weichere Charakteristik geben können, die von Frauen als anziehender empfunden wird.
Deshalb entschloss ich mich zu einem Experiment. Ich ließ wachsen.
Nachdem der Juckreiz überwunden war, fing es sogar an, mir zu gefallen. Mit den entsprechenden Pflegeprodukten wurde der Bart weich und es machte Spaß, die Gesichtsbehaarung zu trimmen und in Form zu bringen. Nachdem ich die Bilder ausgetauscht hatte, stellten sich tatsächlich Matches ein und auch in freier Wildbahn wird neuerdings zurückgelächelt, wenn ich eine Frau anlächele. Scheinbar wirke ich mit Haaren im Gesicht maskuliner, kompetenter und attraktiver. Anders kann ich mir das nicht erklären, denn hinter dem Gebüsch bin ich immer noch derselbe. Mir gefällt’s! Sowohl die neue Optik als auch, dass ich anders wahrgenommen und gedatet werde.