Sind wir die „Generation Therapie“?

Immer mehr junge Menschen nehmen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Sind wir die Generation Therapie? Und wirkt sich unser seelisches Befinden auf unsere Beziehungen und die Partnersuche aus – oder andersherum?

Psychische Erkrankungen und Singles in Deutschland

Und was ist eigentlich mit den Singles? Könnte die Gleichung vielleicht wie folgt lauten: Mehr Singles = mehr Therapie?

Ja, die Anzahl an Alleinstehenden (ledig, verheiratet getrennt lebend, geschieden, verwitwet) in Deutschland stieg von 1996 bis 2017 von rund 14,2 Millionen auf knapp 18,5 Millionen (Destatis) während im gleichen Zeitraum die Gesamtbevölkerung von knapp 81,5 Millionen auf über 82,6 Millionen anstieg (Statistische Ämter des Bundes und der Länder). Der Anteil der Alleinstehenden an der Gesamtbevölkerung stieg also von 17,4 Prozent auf 22,4 Prozent. Allerdings dürfte „Alleinstehende“ nicht ganz das treffen, was alltagssprachlich unter „Singles“ verstanden wird, zumal u.a. alleinerziehende Singles nicht in der Definition von „alleinstehend“ enthalten sind.

Es ist gar nicht so einfach, eine belastbare Statistik zur Anzahl der Singles in Deutschland zu finden. Viele Journalisten und Wissenschaftler greifen daher auf den Anteil an Singlehaushalten in Deutschland zurück, doch dieses Vorgehen lässt sich mit guten Gründen kritisieren. Für das Jahr 2018 wird die Anzahl an Singles/Alleinstehenden in Deutschland in der Altersgruppe 18 bis 65 Jahre auf 16,8 Millionen geschätzt. Belege für konstante Singlezahlen in Deutschland finden sich indes in der ElitePartner-Studie 2016 (Zeitraum 2005 bis 2016). Von einer Versingelung der Gesellschaft kann demnach nicht die Rede sein. Und das spricht wiederum zumindest nicht für die These, dass sich Therapiebedarf (und Inanspruchnahme) in den letzten Jahren möglicherweise von Liierten hin zu Singles verschoben haben könnte. Sprich, dass es in Hinblick auf die psychische Gesundheit heutzutage riskanter wäre Single zu sein als früher.

Um es kurz zu machen: Es liegen, nach meinem Kenntnisstand, einfach zu wenig oder keine Daten vor, die die These stützen würden, dass die Zunahme an Psychotherapien für jüngere Menschen in irgendeiner Weise ursächlich mit dem Beziehungsstatus selbst (ledig, liiert) zusammenhängen würde. Wahrscheinlicher erscheint mir, dass die Zufriedenheit mit einer Beziehung oder dem Singleleben von großer Bedeutung ist. Aber wie gesagt, das müsste genauer untersucht werden.

Fazit: Generation Therapie? Ja, vielleicht, aber

Sind wir Millenials nun die „Generation Therapie“? Ja, vielleicht. Zumindest mehr als die so genannten „Babyboomer“ oder andere. Unter anderem durch die Entstigmatisierung psychischer Krankheit, ein gestiegenes Wissen um Symptome und Behandlungsmöglichkeiten und eine Vielzahl an zur Verfügung stehenden Behandlungsformen wie beispielsweise Psychotherapie dürften sich immer mehr Menschen im Krankheitsfall professionelle Hilfe holen. Und das ist, wie gesagt, sehr gut so.

Vorsicht vor Verallgemeinerung und Pathologisierung!

Allerdings sollten wir vorsichtig sein mit steilen Thesen wie: „Psychische Krankheiten breiten sich unter den Millenials aus wie eine Epidemie“, „Heute sind mehr Menschen psychisch krank als früher“ oder „Die Generation Y hat es stressbezogen besonders schwer, psychisch gesund zu bleiben“. Die Gründe für meine Skepsis finden sich in diesem Artikel.

Aus meiner Sicht lohnenswert wäre es, wenn sich die Wissenschaft intensiver mit dem Zusammenhang von psychischer Gesundheit/Krankheit und Beziehungsstatus (ledig, liiert) beziehungsweise konkreten Beziehungsmodellen (z.B. Fernbeziehung, Mingles u.a.) auseinandersetzen würde – und zwar auch mit einem vertieften Blick auf die Generation Y. Spannend wäre es auch im Detail zu erfahren, welche Rolle dabei die Beziehungsqualität spielt (Stichwort glückliche Beziehungen tragen zur psychischen Gesundheit bei).

Quellen


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