Gestiegenes Bewusstsein für psychische Erkrankungen
Sind wir – jungen Menschen – also weniger die „Generation psychisch krank“ als vielmehr die „Generation Therapie“, wie Julia Emmrich im Hamburger Abendblatt behauptete? Es scheint ein wenig so. Allerdings sollte man eine Generation nicht über einen Kamm scheren – allgemeine Tendenzen oder Trends mögen im Einzelfall keine Rolle spielen! Immerhin: Das Bewusstsein dafür, dass nicht nur der Körper aus dem Takt geraten kann, sondern auch jenes Etwas, das sich antiquiert als „Seele“ bezeichnen ließe, ist gestiegen. Ebenso wie das Wissen um (immer bessere) Behandlungsmöglichkeiten.
Und das ist gut so. Denn es bedeutet, dass weniger Menschen unnötig leiden und zum Beispiel aufgrund von Schamgefühlen still leidend darauf hoffen, dass ihre psychischen Probleme irgendwie von alleine wieder verschwinden. Psychische Erkrankungen sind genauso „normal“ wie ein Herzinfarkt oder ein aufgeschürftes Knie – wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von Normalität sprechen kann.
Das gestiegene Bewusstsein für psychische Erkrankungen, einhergehend mit der Bereitschaft, sich professionell helfen zu lassen, dürfte sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch stark auf die Beziehungen der heute jüngeren Generation(en) auswirken.
Psychische Erkrankungen und Beziehungen
Es ist davon auszugehen, dass mit der hoffentlich zunehmenden Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ebenjene in unserer Gesellschaft noch präsenter sein werden als ohnehin schon.
Dies gilt natürlich auch für das Beziehungsleben. Positiv entwickeln dürfte sich in diesem Zusammenhang der Grad an partnerschaftlicher Unterstützung von Betroffenen (weniger Leugnen und Verdrängen, mehr Akzeptanz und Hilfestellung), was beispielsweise bei depressiven Erkrankungen zu einer schnelleren Gesundung und zum Behandlungserfolg beitragen kann.
Schädliche Beziehungen?
Allerdings sollte auch einmal ergebnisoffen untersucht werden, ob die Anzahl jener Beziehungen zugenommen hat, die gerade nicht förderlich, sondern schädlich für die psychische Gesundheit mindestens eines Partners sind:
Es gibt meines Wissens noch keine systematische Längsschnittstudie, die in Deutschland untersucht hätte, ob und wenn ja, wie, sich gewandelte Beziehungsbilder möglicherweise auf die Entstehung von psychischen Erkrankungen auswirken, speziell in der so genannten Generation Y (und Z). Zu denken wäre hierbei an instabile On-Off-Beziehungen, toxische Beziehungen, aber ebenso an eine kürzere Beziehungsdauer (bei höherer Frequenz: also mehr Beziehungen pro Person im Leben), eventuell auch aufgrund von einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil usw.
Damit soll nicht behauptet sein, dass dies so sein muss! Oder dass es die Mehrzahl aller Paare in dieser Altersspanne betrifft (das Gegenteil ist sicherlich der Fall). Aber es würde ja schon reichen, wenn durch derartige Verunsicherungen ein Teil dieser Generation stärker dem Risiko aussetzen würde, an einer psychischen Krankheit zu erkranken.
Es ist zumindest erstaunlich, wie häufig zwar gute, glückliche Beziehungen als wichtiger „Schutzfaktor“ für unsere psychische Gesundheit genannt werden, im Umkehrschluss aber eher selten untersucht und thematisiert wird, dass qualitativ schlechte(re) Beziehungen einen gegenteiligen Effekt haben können – UND dass letztere vielleicht durch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen mitbedingt sein könnten! Denn schlechte, schädliche Beziehungen entstehen ja nicht aus dem Nichts.