Es gibt Eigenschaften, die sind womöglich einfach einen Tick zu schön, um keinen Haken zu haben. Zum Beispiel, wenn jemand derart nett, hilfsbereit und anderen zugewandt ist, dass dieser Person die eigene Tugend regelmäßig ganz fies ein Bein stellt. Wenn du dich nach einer anstrengenden Woche schon in die Hängematte im Garten gehauen hast und dich freust, die nächsten Stunden Ich-Zeit zu haben. Doch dann klingelt das Telefon und eine eher entfernte Bekannte fragt dich, ob du ihr bitte sofort helfen kannst, die neue Matratze in den 6. Stock zu schleppen. Ein Nein bringst du nicht über die Lippen.
Oder dein Date verlegt das Treffen drei Mal auf eine andere Uhrzeit und du sagst trotzdem lächelnd „Kein Problem, ich bin flexibel“. Und statt deinem Nachbarn höflich, aber bestimmt zu sagen, dass er sein Altpapier bitte nicht ständig tagelang vor deiner Haustür abstellen sollen, schweigst du verständnisvoll. Schließlich willst du ihn nicht noch weiter aufregen, nachdem der Arme gerade seinen Job verloren hat.
Bist du ein People Pleaser?
Wenn du dich in diesen Szenarien wiedererkennst, spricht vieles dafür, dass du ein People Pleaser bist. In anderen Worten: Du bist deiner eigenen Nettigkeit in die Falle getappt. Was nicht heißt, dass es falsch wäre, anderen ab und an einmal zu helfen oder Verständnis, Rücksicht und Zuwendung zu zeigen. In kleinen Dosen sind das ausgesprochen angenehme Wesenszüge. Fatal werden sie allerdings, wenn dabei etwas Wichtiges verloren geht: du und deine eigenen Bedürfnisse. People Pleaser kreisen so sehr um die Wünsche, Anliegen und Launen anderer, dass sie selbst dabei unsichtbar werden. Doch wie kommst du raus aus dieser Falle, wenn du zu allen zu nett bist? Und vor allem: Wie fängst du an, endlich mal nett zu dir selbst zu sein?
Schritt 1: Mach‘ dir klar, ob und wo du zu nett bist
People Pleasing hat viele Facetten. Die Neigung, lieber “Ja” als “Nein” zu sagen, ist nur eine davon. Ebenfalls typisch ist es, den Fehler erst einmal bei sich selbst zu suchen. Das geht so weit, dass andere dich sogar unhöflich 30 Minuten vor dem fix geplanten Kletterausflug abservieren dürfen und du dich erst einmal schuldbewusst fragst, ob du vielleicht in Ungnade gefallen bist. Harmonie ist dir so wichtig, dass du selbst völlig berechtigte Kritik an deinem Gegenüber lieber gleich unter den Tisch fallen lässt.
Manchmal erzählst du anderen möglicherweise sogar Dinge, die sie hören wollen, um ihnen einen Gefallen zu tun. Dann gibst du etwa vor, einen sehr disziplinierten Alltag ebenfalls total wichtig zu finden, obwohl du du selbst am liebsten in den Tag hinein lebst. Um nicht anzuecken, verstellst du dich. Um die Gefühle anderer bloß nicht zu verletzen, verbirgst du deine eigenen. Um den Maßstäben deiner Umwelt zu entsprechen, bist du die meiste Zeit damit beschäftigt, das zu tun, was andere von dir erwarten. Oder was du glaubst, was sie von dir erwarten. Denn wenn du selbst Kritik oder Ablehnung erntest, beschäftigt dich das jedes Mal Tage oder sogar Wochen.
Deine Bedürfnisse haben Vorrang
Die wichtigste Frage bei diesem Reigen aus Verständnis, Ja-Sagen und Hilfsbereitschaft ist letztlich die, ob du dabei so sehr mit Nettsein beschäftigt bist, dass du über deine eigenen Grenzen hinausgehst. Denn wenn das passiert, handelst du gegen deine eigenen Bedürfnisse. Tatsächlich haben People Pleaser nicht selten einen enorm gefüllten Kalender. Doch wenn du heute deinem Neffen Nachhilfe gibst, dich morgen für einen Umzug einspannen lässt und übermorgen noch das Projekt deiner Kollegin übernimmst, damit sie einen Urlaubstag einreichen kann – hast du dann selbst noch Freude? Oder bist du vor allem gestresst und funktionierst nur? Hast du vielleicht selbst öfters – auch in Partnerschaften – das Gefühl, ausgenutzt zu werden? Dann wird es Zeit, dein persönliches Stop-Schild hochzuhalten.