Modernes Dating macht uns zu emotionalen Krüppeln

Ein Plädoyer für mehr echte Verbindlichkeiten. Selbst, wenn das hier und da ein paar Rückschritte bedeutet

Wisch nach links. Wisch nach rechts. Poser-Fotos, schiefe Nase, Hasenzahn – nein danke, nein danke, lieber nicht. Und der… ja okay, geht gerade so durch. Willkommen im modernen Dating-Wahnsinn!

Es ist ja nicht so, als hätte die Optik bei der Partnerwahl noch nie eine Rolle gespielt. Doch fragt man beispielsweise meine Oma nach den Kennenlern-Ritualen aus einer Welt vor unserer Zeit, sprühen die Erzählungen vor Leben. Auch ihre Geschichten handeln von Bildern, nur sind damit nicht bis ins Letzte perfektionierte Selfies am karibischen Strand gemeint, sondern Momentaufnahmen echter Erlebnisse. Ein Tanzsaal, in dem sich Menschen leibhaftig begegneten. Der Hof der Eltern, auf den eines Tages ein junger Mann mit blitzenden Augen und feinem Humor gefahren kam, um seine Hilfe bei der Stallarbeit anzubieten. Später dann Ferienlager, Jugendclubs, Brieffreundschaften, Kribbeln im Bauch beim ersten Telefonzellen-Gespräch, bis das Münzgeld alle war. Ein Polaroid unter dem Kopfkissen, Postkarten in Handschrift, große Gefühle und kleine Verbindlichkeiten zum Festhalten.

Perfekt ist gerade gut genug

Nur ein paar Jahrzehnte liegen zwischen damals und jetzt – doch geblieben ist nicht viel. Verlieben läuft nicht mehr so geradlinig ab, so vorhersehbar. Aber auch nicht annähernd so zuverlässig. Aber ist die neue Dating-Kultur via Smartphone wirklich ein hausgemachtes Generationenproblem oder nicht vielmehr das Resultat der rasanten Technisierung der vergangenen Jahre? Wer heute um die zwanzig ist und schon mehr oder minder im digitalen Kosmos aufgewachsen, lacht über Paarfindungs-Relikte wie die TV-Show Herzblatt oder die klassische Kontaktanzeige in einer Tageszeitung. Da sieht man schließlich gar keine Bilder!

Und genau hier liegt der dickste Hund begraben, denn das Internet als größte Erfindung der letzten X Jahre hat nicht nur die virtuelle Begegnung mit nahezu jedem Menschen auf der Welt möglich gemacht, sondern vor allem auch den Selbstoptimierungsdrang jedes Einzelnen auf ein ungesundes Level geschossen. Klar, denn wer auf Facebook, Instagram und Co. rund um die Uhr in die wunderschön inszenierten Leben anderer blicken kann, seinen eigenen Wert an makellosen Gesichtern, gestählten Körpern und meterdicken Biografien misst, kann sich selbst nur schwer freimachen von dem leisen Wunsch, auch ein bisschen so zu sein. Es geht immer noch besser!


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