Mich nervt falsche Nostalgie
So wie Jüngere das ewige “Ihr habt es doch so gut heute, so viel besser als wir damals”, auf die Nerven geht, nervt mich falsche Nostalgie. Was ich damals hören musste: „Ist das Tragen von Turnschuhen ungesund?“ „Verblödet uns das Fernsehen?“ „Männer tragen kurze Haare, Frauen tragen lange Haare.“
Damit zurück zur Einstiegstfrage: „Macht uns Online Dating einsam?“ – Meine Antwort dazu: Nein. Nein. Nein. Und nein.
Online Dating birgt die großartige Chance, Menschen kennenzulernen, denen man sonst niemals begegnet wäre.
Ganz sicher sind da auch welche darunter, denen man lieber nicht begegnet wäre, keine Frage. Aber ich hatte auch in Cafés Erlebnisse, die es nicht gebraucht hätte. Und auch in der Bar und im Club.
Was ich sagen möchte: in 30 Jahren werden sich eure Kinder, die auf irgendeinem Weg einander kennenlernen, an den erst in zehn Jahren ein*e kluge*r Erfinderi*n denken wird, an eine „gute alte Zeit“ erinnern und ihr werdet antworten: „Ernsthaft? Wisst ihr, wie mühevoll das war? Ghosting! Benching! Beziehungsunfähigkeit! Und Trump! Und Corona! Und Rassismus!“
Das Internet macht nicht oberflächlich. Wir verhalten uns zu oberflächlich
Es bringt überhaupt nichts, sich dahinter zu verstecken, dass das „Internet so oberflächlich macht“. Oberflächlich sind die eigenen Verhaltensweisen: die eigenen Entscheidungen darüber, wie und worüber man kommuniziert, ob man sich trifft, ob man sich meldet oder den Kontakt vor dem Smartphone lauern lässt. Keine Dating-App sagt euch, dass ihr Dick-Pics verschicken sollt, das macht ihr selber. Das Internet klingelt nicht an der Tür und stellt euch Menschen vor, die „eigentlich keine Beziehung suchen“. Die ladet ihr selber ein.
Jede Zeit hat ihre Vor- und Nachteile. Jedes Medium hat seine Vor- und Nachteile. Es kommt alleine darauf an, wie man selber damit umgeht und auch wie wir als Gesellschaft unsere Möglichkeiten nutzen. Wir definieren, welche Grenzen wir uns als Singles setzen, um einander nicht zu verletzen. Die Verantwortung für einen respektvollen, liebevollen, neugierigen Umgang tragen wir. Jetzt müssen wir sie noch übernehmen.