Jeder sucht, aber niemand findet – Berlin als Hauptstadt der Einsamkeit

Lieber Hauptstadt der Singles als ein großes Prenzlauer Berg

Ich traf mindestens 20 Männer zwischen Grauschleier und dem Geruch von Hundehaufen. Was von den vielen Momenten blieb, die meine Suche nach der Liebe begleiteten? Nichts außer toten Kontakten, deren Profilbilder ich mir gelegentlich bei WhatsApp anschaue. Sie fehlen mir nicht. Nur die Enttäuschung, in einer Stadt, in der über 50% der Einwohner Single sind, nicht einmal einen annehmbaren Partner gefunden zu haben, schmerzt. Vermutlich ist das so gewollt, dass hier kein Deckel zum Topf passt. Wäre ja auch langweilig, wenn die komplette Hauptstadt zu einem großen Prenzlauer Berg mutieren würde, in dem die Hautgesprächsthemen die windelfreie Erziehung und die besten Hochzeitslocations sind. Die ständige Suche ist es, die Berlin zu der Sehnsuchtsstadt schlechthin macht, in der Hoffnung, irgendwann fündig zu werden.

Single-Lifestyle geht auf Instagram besser als schnulzige Pärchenmomente

Wer genug Zeit in Berlin verbringt, merkt jedoch schnell, dass es sich alleine leichter lebt. Die Feier- und Flirtszene macht nur als Single so richtig Spaß. Das Spätihopping, bei dem bei jedem der besuchten Spätkaufe ein Bier geleert werden muss, entfaltet nur dann seine Magie, wenn einem am Ende keiner beim Kotzen zuschaut. Die Möglichkeiten der Hauptstadt lassen sich am besten allein erleben. Das spürt man an jeder nach Urin stinkenden Ecke. Wer sich bindet, sperrt sich selbst ein. Und so lebt hinter verdreckten Hauseingängen und in viel zu teuren kleinen Wohnungen das kleine einsame Berliner Individuum, das sich für sein Alleinsein auch noch feiert, als wäre es ein erstrebenswerter Zustand. Single-Lifestyle. Der nachdenkliche Blick gen Horizont gerichtet, ein „alles ist möglich“-Spruch dazu. Geht übrigens auch besser bei Instagram als schnulzige Pärchenmomente.

Einen Blick für seine Mitmenschen zu haben, gleicht einer Superkraft

Allein zu sein, ist der neue Hipster-Lifestyle. Doch das Alleinsein hauptstadtgemäß zu inszenieren, kostet Energie. Viel weniger Energie jedoch, als sich auf eine ernsthafte Bindung einzulassen. Die regelmäßigen Verabredungen, die irgendwie in den vollen Kalender zwischen Karriere, Yoga und Partywochenende passen müssen, können in Stress ausarten. Kein Wunder, schaut man sich den Hektikkeitsfaktor des modernen Berliners an. Eine Stadt, die nie schläft, die dauerbeschallt wird und sich ständig verändert, vermittelt so viele verschiedene Eindrücke, dass es kaum verwunderlich ist, dass viele Hauptstädter irgendwann ganz wirr im Kopf sind. Sobald ich ein paar Stunden zwischen Zoo und Friedrichshain verbringe, ereilt mich der Fluchtreflex. Bloß weg von all der Wuselei, dem Krach und dem Hundehaufen-Hindernislauf. Neben all diesen Ablenkungen noch einen Blick für seine Mitmenschen zu haben, gleicht einer Superkraft.

Wie wäre es mit einem Ministerium für Einsamkeit?

Vielleicht braucht es ein Ministerium für Einsamkeit, wie es Theresa May in Großbritannien Anfang 2018 eingeführt hat. Einen Minister, der sich um diejenigen bemüht, die morgens alleine aufwachen. Er würde sich um Kennenlernveranstaltungen kümmern und dafür sorgen, dass sich neu gewonnene Kontakte regelmäßig beieinander melden, um zumindest eine wertschätzende Kommunikation aufrecht zu erhalten. Ob das etwas bringen würde? Nein. Es würde den Flair der Hauptstadt, der Singles wie Fliegen ins Licht zieht, verändern. Berlin ist für die Suchenden, die insgeheim ganz froh sind, nicht fündig zu werden. Zumindest nicht, bis nachdenkliche Blicke in die Ferne mit einem Kalenderspruch über die Liebe, die irgendwo da draußen wartet, auf Instagram für einen Followerverlust sorgen.

In Berlin brauchst du niemanden und niemand braucht dich. An einem Ort, der nie schläft, sind seine Bewohner zu müde, um ihre Energie mit anderen zu teilen. Das ist nicht schlimm, das soll so. Es ist der Grund, warum die Hauptstadt wächst. Die Menschen sind leer, einsam, der „Berlin-Blues“ ein Lebensgefühl. Jeder sucht, niemand findet, aber irgendwie scheinen alle ganz zufrieden damit zu sein.


Weitere interessante Beiträge