Ein Mann, ein Smartphone, eine Mission. Jonas Grünanger datete sich durch ganz Europa und hat dabei Buch geführt. Interview über seinen Tinder-Marathon
Herr Grünanger, Hand aufs Herz: Sind Sie für Tinder nicht bereits … zu alt? Immerhin will Tinder von Ihnen bereits Geld, während die Jungen kostenlos wischen dürfen.
Vorsicht Freundchen! Flirten ist keine Frage des Alters, sondern eine Frage der emotionalen Intelligenz. Tinder will von Ihnen Geld, wenn Sie einfach zu häufig den „Like“ Button drücken, ansonsten ist es kostenlos. 19.99 Euro für Menschen ab 28 Jahren, die die App intensiv nutzen (unter 28 sind es ca. 5 Euro), ist natürlich happig, aber ich würde nicht behaupten, dass das eine Fehlinvestition war. Übrigens der durchschnittliche Tinder-Nutzer ist zwischen 30 und 38.
Warum haben Sie sich auf diesen Tinder-Marathon eingelassen?
Weil ich es konnte? Meine Freundin hatte mich kurz vorher verlassen, ich hatte kaum noch Hab und Gut, da wir erst kurz vorher zusammengezogen waren. Obdachlosigkeit drohte. Da dachte ich mir, dass es so eine Möglichkeit recht selten im Leben gibt, als fahrender Geselle flirtend durch die Lande zu ziehen. Hat übrigens viel Spaß gemacht, auch wenn es ganz schön anstrengend werden kann.
Was sind die großen Vorteile von Tinder oder ähnlichen Apps aus Ihrer Sicht?
Perfekt für schüchterne Menschen, die sich nicht trauen, jemanden anzusprechen. Außerdem: der Blick über den Tellerrand. Ich traf eine Philosophin aus dem Sudan, eine PR-Beraterin der Türkischen Armee, eine durchgeknallte Malerin aus Wien, eine Tortendesignerin aus Paris. Wie hätte ich diese Menschen auf klassischem Wege kennenlernen können? Wer seinen Horizont erweitern möchte ist bestens mit Flirt-Apps bedient.
Flirten ist eine Frage der emotionalen Intelligenz
Ist „Sie haben ein Match“ das neue „Sie haben eine eMail“? Was lässt Menschen permanent aufs Smartphone starren? Ist das nur zappen oder eine Sucht?
Ein Match kann schon Glücksgefühle auslösen. Das kommt ja bei Mails eher selten vor. Und sicher kann es zur Sucht werden. Ein Match bringt ja auch eine gewisse Selbstbestätigung mit sich. „Sieh her, jemand interessiert sich für mich. Ich bin attraktiv.“ Suchtgefährdet sind besonders Menschen mit Minderwertigkeitskomplex oder der klassische Narzist.
Wann haben Sie die Grenze zwischen Spaß und Stress erlebt?
Permanent das Gleiche über sich zu erzählen am Anfang eines Gespräches wurde schon extrem ermüdend auf Dauer. Stressig war es auch, besonders wenn mir die Frau gegenüber eigentlich nicht gefallen hat. Unter normalen Umständen hätte ich da eine Ausrede erfunden , um schnell verschwinden zu können. Aber ich wollte ja Geschichten erzählen und das gelingt nicht, wenn man permanent auf der Flucht ist.
Wie gut tut Tinder dem Ego?
Es hat keine bleibenden Schäden verursacht. Bitter wird es erst, wenn einfach keine anbeisst. Dann sollte man sich dringend Gedanken darüber machen und Ursachenforschung betreiben. Ein Profilfotowechsel wäre vielleicht der erste Schritt.
Wie viele unterschiedliche Menschen kann man in kurzer Zeit eigentlich kennenlernen? Oder lernt man sich gar nicht kennen – selbst wenn das Date im Bett endet?
Bei mir waren es maximal drei am Tag. Und was heißt eigentlich kennenlernen? Ich habe natürlich Menschen kennengelernt, mal oberflächlicher, mal intensiver. Ich pflege auch noch zu einigen meiner Dates einen guten Kontakt. Mit manchen habe ich mich sogar angefreundet.
bei Tinder geht es zu wie in einem Warenhaus
Es gibt Zahlen, laut derer die meisten Mitglieder auf Tinder in Beziehungen sind und es nur bei den wenigsten Matches überhaupt zu einem Treffen kommt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Von diesen Zahlen höre ich zum ersten Mal. Ich hatte keine Dates mit liierten Frauen. Zumindest wüßte ich nicht davon. Wer sich treffen will, sollte schon ein wenig in Kommunikation investieren. Ich bin davon überzeugt, dass „Na, Lust auf Sex“ in den seltensten Fällen zu Treffen führt.
Frauen, die über ihre Dating-Erfahrungen Bücher schreiben, lassen an Männern meist kein gutes Haar. Wie reagieren Leserinnen auf Ihre Erlebnisse?
Man bekommt ja schnell den Vorwurf des Sexismus um die Ohren gedroschen, deshalb habe ich ein paar Freundinnen gegenlesen lassen. Das Feedback war großartig. Ich kann verstehen, dass Frauen von Männern recht schnell genervt sind, denn viele Männer glauben, dass man gleich beim ersten Mal im Bett landet und so benehmen sie sich auch. Ich kann ihnen aber versichern, Frauen sind häufig genauso bescheuert wie Männer.
Je größer die Auswahl, umso schwerer tun sich Menschen mit Entscheidungen. Wird die Generation Singles durch Tinder noch unverbindlicher als sie schon ist?
Ich fürchte ja. Die Ehe stirbt dank Internet. Wobei, es gibt ja Paare, die sich über Flirt-Seiten oder -Apps kennengelernt haben. Ich hörte auch von Tinder-Kindern. Dennoch, es geht ja bei Tinder zu wie in einem Warenhaus und wir sind die Produkte.
Wie anders tindern die Deutschen als ihre europäischen Nachbarn?
In Deutschland gibt es ja schon regionale Unterschiede. Meine Lieblingsstädte waren Köln und Hamburg. Hier trifft man die weltoffensten Menschen. In Berlin war es dagegen ein Graus. Da nehmen sich die Frauen alle viel zu wichtig. Match ja – Kommunikation nein. Das liegt am Überangebot von paarungswilligen Männern. Bei soviel Nachfrage kann aus einem Mauerblümchen sehr schnell eine verwöhnte Zicke werden. Toll war es in der Türkei. Die Frauen dort sind alle sehr freundlich. Wirklich jede hat auf meine Anschreiben geantwortet. In Resteuropa liegt der Rücklauf vielleicht bei 40 Prozent. Eines haben alle Länder und Städte gemeinsam: Frauen wählen aus hundert Männern ca. zwei aus. Männer aus hundert Frauen so an die dreißig. Schrecklich diese Wahllosigkeit. Europaweit.
Tinder zeigt jetzt auch wie Twitter “echt geprüfte” Promis an. Ist damit die Jagdsaison auf vermeintliche Traumprinzessinnen und Prinzen eröffnet? Wird die Partnersuche jetzt völlig unrealistisch?
Ich habe mich gestern abend mit dem DJ Jan Leyk unterhalten. Der ist auch bei Tinder. Seine Erfolgsquote: 100 Prozent. Man kann jetzt seine Stars kennenlernen ohne am Hinterausgang nach dem Konzert warten zu müssen. Auch gut für den Promi : Sein Bodyguard muss jetzt nicht mehr an fremde Tische gehen und die Damen fragen, ob sie Lust haben auf einen Champagner rüber zu kommen. Ein Tinder-Promi kann wirklich jeden Tag mehrfach Sex haben mit dieser App.
Haben Sie eine Erklärung, was sich in den vergangenen Jahren verändert und Frauen überzeugt hat, sich mit Name, Bild und Wohnort in einer Dating-App zu präsentieren?
Erinnern Sie sich noch an die Volkszählung und was das für einen Aufruhr verursacht hat? Der normale Mensch macht sich heutzutage kaum noch Gedanken über die Informationen, die er von sich Preis gibt und wie er sich damit schaden kann. Schuld daran ist Facebook. Tinder ist spyware und das ideale Instrument für durchgeknallte Stalker. Deshalb mein Tipp: Nach dem ersten Date, die betreffende Person auf Tinder löschen und in anderen Foren weitermachen. Dabei das Geotagging ausschalten.
Tinder ist spyware und ideal für durchgeknallte Stalker
Welche drei Tipps haben Sie für Männer und Frauen, damit aus dem Match auch ein Treffen wird?
- Wer ficken will muss freundlich sein
- Sei orginell in deiner Konversation
- Das Profilfoto muss sitzen. Unser Hirn entscheidet in Bruchteilen von Sekunden, ob attraktiv oder nicht. Deshalb ist das Profilfoto das allerwichtigste.
Einen Auszug aus dem Buch “Social Bettwork” von Jonas Grünanger über seiner Erlebnisse und seine Tinder-Dates können Sie hier lesen.
Jonas Grünanger
Social Bettwork: Mein Dating-Marathon mit Tinder und Co.
ISBN: 978-3-86883-699-8
Verlag: Riva