Als wir ein bisschen später über den Flohmarkt am Arkonaplatz tigern, probiert Björn eine Lederjacke an. »Steht die mir?«, fragt er, während er die Jacke lässig über seine Schultern schmeißt.
»Ja sehr«, nicke ich. »Die passt dir wie angegossen.«
»Hast du den Verkäufer im Blick?« Jetzt lehnt sich Björn ganz nah an mich und flüstert.
»Der berät da vorne gerade jemanden.«
»Gut, dann rennen wir!«, sagt er, und bevor ich realisiere, dass ich gerade wirklich eine dieser NEON-Storys erlebe, zieht mich Björn um die Ecke des Standes, schaut sich um und, weil die Luft rein ist, rennen wir los. Als sich unsere Augen im Sprint treffen, ist es dann wirklich so, wie es in den Magazinen stand, denn für eine Sekunde bin ich frei und unbändig und gefährlich und meine Beine rennen so schnell wie noch nie. Eine Straße weiter bleiben wir in einem Hinterhof stehen, und unter Herzrasen drücke ich Björn noch im selben Augenblick einen Kuss auf seine Lippen.
»Das war irre«, sage ich und schnappe nach Luft. Björn geht einen Schritt zurück und schaut mich an. »Hast du jetzt das bekommen, was du wolltest?«
Kilometer 42
Am Abend liege ich wieder auf meiner Couch und spüre meine Beine kaum noch. Mein Körper fühlt sich wirklich so an, als hätte er 42 Kilometer zurückgelegt, er ächzt und stöhnt und will sich nicht mehr bewegen. Nur mein Kopf ist weiter aktiv und springt von Date zu Date und grübelt. Zur Unterstützung rufe ich Toni an. »Sie muss mir erst mal helfen, das ordentlich aufzuräumen«, denke ich, und so erläutere ich ihr jedes Date Minute für Minute in aller Ausführlichkeit.
»So, lieber Julius, jetzt musst du dich entscheiden. Wer soll dein Herzblatt sein?«, sagt sie nach einer Stunde hörbar amüsiert und klingt dabei fast wie die andere bekannte TV-Stimme der 90er neben Marijke Amado: Susi Müller. »Ist es Kandidat Eins, der fesche Fotograf, der dich in seine offene Beziehung einlädt, damit du seine große Nase bewundern kannst, oder Kandidat Zwei, die Seekuh aus der Steiermark, die mit österreichischem Akzent und Jobproblemen an dir herumschraubt. Oder – ist es Kandidat Drei, der wilde Bad-Boy-Werber, der eine Lederjacke wie deinen Verstand raubt und Regeln und irgendwann dein Herz brechen könnte. Die Entscheidung liegt in deiner Hand.«
»Okay, das war beachtlich«, applaudiere ich über ihre Zusammenfassung.
»Danke, danke, es ist eine Gabe«, sagt sie und fährt fort: »Aber weißt du, was auch eine Gabe ist? Ich weiß schon, für was du dich entscheidest.«
»Für was?«, frage ich verwundert.
»Darauf kommst du schon selbst. Wir reden morgen wieder, okay?«
Als ich mich um elf in meinem Bett mit meinen Kuscheltierschweinen Yves und Laurent von einer Seite zur anderen winde, glaube ich zu wissen, was Toni meinte. Obwohl die letzten Tage unheimlich aufregend waren und ich wirklich Spaß hatte, bei jedem der drei Kandidaten fehlt mir etwas, das sie über die Ziellinie bringt. Egal was für ein cooler Typ Nils war, das mit der offenen Beziehung kann ich nicht, oder zumindest bin ich nicht der Mann, der nur ein paar Mal als Gastspieler in einer bestehenden Beziehung auftritt und nie zum regulären Programm dazugehören kann, wo ist da die Romantik? Die Entscheidung mit Michi ist easy, weil der Funke einfach nicht übergesprungen ist. Und Björn, ach, Björn wäre spannend, aber sollte ich mich wirklich für jemanden entscheiden, der Biergläser und Lederjacken stiehlt und bei dem ich mir von Beginn an schon sicher sein kann, dass die Sache in einer krassen Verletzung endet? »Ne, das mache ich nicht«, denke ich vorm Einschlafen. Auch wenn ich durch meine vorigen Dates als Training körperlich auf den Marathon vorbereitet war, mein Brusthaar vorher gestutzt und die Frisur aerodynamisch gelegt habe, wenn ich einen Dating-Marathon bis zum letzten Kilometer laufen kann, schwimme ich im Ziel eher ein bisschen, und da habe ich ja meine Antwort. Nicht nur hatte mein Herz wenig Zeit, dem Ganzen nachzukommen, der Richtige war auch einfach nicht dabei. Ich suche eben den Einen, wenn es bei Tinder und Co. so viele gibt, und ein erstes Date ist eben wie eine Kofferauktion am Flughafen. Bei der weiß man auch nicht, was man für seinen Einsatz bekommt. Manchmal sind es die Geschichten einer fremden Person, die man weitertragen kann und die zur eigenen Geschichte werden, und manchmal ist es einfach nur Gepäck. Nach meinem Romeo werde ich weitersuchen. Aber den Marathon überlasse ich ab jetzt wieder Henry.
Am Montag darauf schreibe ich mit allen drei Männern, und für eine Sekunde fällt es mir bei Björn doch schwer, abzusagen, weil mich der Magnet zu ihm zieht, bis ich auf Senden drücke und ein paar Stunden später seine Antwort lese: »Du bist eh nicht mein Typ, ich stehe nicht so auf Stämmige.« »Gute Entscheidung«, denke ich. Am Ende hat Björn schließlich eine Regel gebrochen, die man bei mir wirklich nicht brechen darf: freundlich zu sein.
Julius Kraft, Romeo und Julius © Goldmann, Juli 2019
Julius Kraft
Romeo und Julius
ISBN: 978-3-442-15977-2
Verlag: Goldmann