Buchtipp „Romeo und Julius“

»Scheiße!«, sagt Michi, und jetzt lachen wir endlich herzlich miteinander. Bei den Giraffen und Zebras ist unser Gespräch dann in vollem Gang, weil ich es, durch den Zwergziegenvorfall schlagartig nüchtern, in die Hand nehme. So reden wir über das Tagesgeschehen der Politik, sein Lieblingsfach in der Grundschule – Werken – und diskutieren, ob Jan Böhmermann jetzt eigentlich lustig oder selbstgefällig ist. Dabei ist Michi in seiner Wortwahl bedacht, manchmal ein bisschen sehr schüchtern, aber immer enorm freundlich. Trotzdem werden wir nicht so richtig warm miteinander. Ich weiß nicht, ob es an den Temperaturen liegt, die für Mai-Verhältnisse heute hart unterkühlt sind, oder ob das seine Art ist, aber körperlich kommen wir uns heute wohl nicht mehr näher, das spüre ich.

Kilometer 22

»Ich finde das übrigens richtig gut, dass du den Zoo ausgesucht hast für unser Date«, sage ich, als wir in den kleinen Tümpel blicken, in dem eine einsame Seekuh ihre Runden dreht. »Wenn ich das so betrachte, habe ich zwar echt ein gespaltenes Verhältnis zu solchen Parks, aber als Kind habe ich statt Autos immer mit kleinen Tierfiguren gespielt, oft eine Arche Noah mit zwei jeder Art gefüllt, und ich wollte unbedingt Zoodirektor werden, das kann ich nicht so ganz abschütteln.«

»Die Seekuh ist schon ziemlich traurig«, sagt Michi in seinem schönen österreichischen Dialekt, so dass es schon fast nett klingt, wie er das Desaster feststellt. »Bist du happy in Berlin?«, frage ich schließlich. »Ich weiß noch nicht. Gerade fühle ich mich noch wie ein Fremdkörper, wenn ich durch die Straßen laufe, und der Job macht gerade noch nicht so viel Freude. Hoffentlich ändert sich das bald.«

Kilometer 28

Einen Tag später ist das Wetterbarometer ein gutes Stück nach oben gesprungen. Zum Glück, denn Kandidat Drei und ich treffen uns im Prater Biergarten, um in den gemeinsamen Nachmittag zu starten. Björn, so ist sein Name, wohnt eigentlich im angesagten Teil von Neukölln, an der Boddinstraße, aber für mich hat er sich den aufgeräumten Prenzlauer Berg als Startpunkt ausgesucht. Björn und ich verstehen uns auf Anhieb, beziehungsweise bin ich mir gar nicht so sicher, ob wir uns schon verstehen. Ich weiß nur, dass ich mich mit ihm verstehen will und zwar unbedingt. Auch wenn Björn optisch so gar nicht mein Typ ist – er ist kleiner als ich, sein Kleidungsstil ist sehr Second-Hand-Neukölln, und eine Baseballkappe hängt ihm tief im Gesicht –, finde ich ihn furchtbar anziehend. Wenn er über seinen Job als Werber redet, ist er Feuer und Flamme, und obendrauf hat er diese fiese sexy Bad-Boy-Attitüde. Dass mich die mittlerweile echt nicht mehr anziehen sollte, weiß ich zwar, aber verdammt tut sie es gerade. Wie ein extra starker Magnet, den die NASA in einem Geheimlabor entwickelt hat für die nächste Raumfahrtmission. Auf eine Art, dass sich mein Verstand auf Stand-by schaltet. So himmle ich Björn die ersten dreißig Minuten im Biergarten an, bis er unruhig wird.

»Lass mal weiterziehen und das Bier als Fußpils mitnehmen «, sagt er von seinem Podest herunter, als unsere Krüge auf Halbmast stehen, und obwohl mein Gedanken-Ich direkt »Dafür bist du doch viel zu korrekt, Julius« einwirft, stehe ich zeitgleich mit Björn auf, meine Hand fasst automatisch in den Henkel, und wie selbstverständlich laufen wir wenig später mit unseren Bieren vorbei an Vintage-Läden und durch Kinderwagenkolonnen.

Kilometer 36

Mit Bierkrug und Björn durch den Prenzlauer Berg zu laufen, ist ein bisschen so, als wären wir in einem dieser König-Pilsner-Werbespots, in denen sich Männer überfröhlich zuprosten, weil das Leben mit einem kühlen Blonden in der Hand alles ist, was es sein soll. Wir lachen viel, na ja, oder ich lache viel und himmle, und er grinst. So müssen sich die Schreiber der NEON gefühlt haben, denke ich, wenn sie in ihren Geschichten mit Dates nachts in Schwimmbäder einstiegen, um sich dort langsam voreinander auszuziehen, nackt in den Pool zu springen und unter Wasser zu knutschen (als wäre es einfach, unter Wasser zu knutschen), die Kleinwagen klauten wie andere Ohrringe bei Bijou Brigitte und die generell einfach so risikobereit waren, für jede Gefahr gewappnet und befreit. Was ist schon Materielles und sowieso? Es sind Momente, die zählen. Bisher war ich immer skeptisch, ob diese Geschichten wahr sein könnten. Wer hat schon das Selbstbewusstsein, sich vor einer fremden Person langsam nackt auszuziehen, während die nur guckt, funktioniert das mit der Zündung bei neuen Automodellen überhaupt noch, dass man da nur zwei Kabel aneinander reibt und schon kann man starten, und warum wird in den Geschichten eigentlich nie jemand von der Polizei gefasst?


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