Beim Dating sind wir alle Künstler

Wenn wir jemanden kennenlernen, glauben wir, den „echten Menschen“ kennenzulernen. Tatsächlich sind wir aber alle Künstler

Dating – das ist eine spannende Sache. Eine Phase, in der alles in Bewegung ist, in ständiger Veränderung. Wir lernen jemanden kennen, der uns noch vor kurzem auf der Straße vielleicht gar nicht aufgefallen wäre. Wir sind neugierig, wollen alles über den anderen in Erfahrung bringen. Was mag er gerne, was kann er überhaupt nicht ausstehen? Wo sind seine Schwachstellen, was sind seine Macken? Mit welchen Stärken weiß er uns zu beeindrucken?

Mit jedem Treffen lernen wir dazu, glauben wir. Wenn man die Kennenlernphase mit dem Malen eines Bildes vergleichen würde, kämen Tag für Tag neue Pinselstriche hinzu. Eine Kontur bildet sich heraus, ein Hintergrund, Kontraste entstehen, Ecken und Kanten, Farben füllen das leere Weiß der Unwissenheit. Und tatsächlich gelangen wir so irgendwann an einen Punkt, wo wir uns sagen: „Das Gemälde mag noch nicht ganz fertig sein. Hier fehlen noch ein paar Details, dort habe ich mich vermalt. Aber im Großen und Ganzen: Ja, doch, so sehe ich ihn/sie, so ist er/sie wirklich!“

Doch hier liegt das Problem. Wenn wir auf einen fremden Menschen treffen und ihn kennenlernen, malen wir unser Bild nicht nur nach der realen Vorlage. Wir haben Vor-Bilder im Kopf, die uns beeinflussen und unser Gemälde manipulieren. Das können beispielsweise frühere Erfahrungen sein, Assoziationen, Wünsche, Sehnsüchte und Erwartungen. Beim Dating sind wir eben bildende Künstler, die ein Bild des anderen schaffen – im Gegensatz zu jenem Fotographen, der sich ein möglichst exaktes Abbild der äußeren Realität zum Ziel gesetzt hat (ohne Photoshop-Nachbearbeitung und Instagram-Filter).


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