Irgendwas ist immer wichtiger
Denn auch in meinem Leben gibt es zurzeit ein paar Fragen, deren Beantwortung ich seit Längerem vor mir herschiebe. Sie stören noch nicht, aber unter der Oberfläche wabern sie schon länger so gemütlich herum und fressen stillschweigend meine Energie. Unbemerkt, denn es gibt immer Wichtigeres, das ich erledigen, organisieren oder abarbeiten muss, sodass ich mit großer Selbstverständlichkeit entweder zu mir sagen kann: Über mein Leben generell nachzudenken passt gerade nicht rein. Oder ich habe Pause vom Alltagsstress und sage mir: Jetzt? Auf keinen Fall, jetzt schenk ich mir ein großes Glas Sekt ein und mache ganz viel gar nichts!
Aber jetzt – während der Corona Quarantäne – habe ich zwar zu tun, aber ich merke auch, dass sich da ein Platz in mir aufmacht. Raum, um diese Fragen endlich anzugehen. Und wenn ich mich so in meinem Bekanntenkreis umhöre, geht es vielen ähnlich. Wir haben uns zwar in der Quarantäne eingerichtet, gucken aber sehnsuchtsvoll auf die Zeit, in der wir scheinbar sorglos das leichte Leben und die Freiheit unseres normalen Alltags genießen konnten. Und wünschen uns, bald genau dieses große Ganze endlich weiterleben zu können.
Aber ist das wirklich so? Leben wir das Leben, das wir leben wollen? Wollen wir genau dahin zurückkehren, wo wir vor Corona waren. Als hätte unser „echtes Leben“ nur auf Pause gestanden? Und dann einfach Play drücken und weiter geht´s? Waren wir wirklich glücklich und zufrieden, oder kann da vielleicht was weg?
Leben wir das Leben, das wir leben wollen?
Wie zufrieden sind wir beispielsweise mit unseren Jobs? Hat uns der Chef nicht eigentlich immer wieder blöd von der Seite angemacht und uns für all die Überstunden viel zu schlecht bezahlt? Und war es mit unseren Kolleg*innen wirklich in jeder Kaffeepause so hart witzig, wie wir es in Erinnerung haben? Gibt uns unsere Arbeit die Herausforderungen, nach denen wir eigentlich suchen? Oder verkümmern wir langsam in unserem Potential, wie die blöde Topfpflanze im Großraumbüro. Haben wir unsere Ziele und Visionen im Laufe der Zeit aufgegeben, weil alles so schön einfach war? Oder frisst uns die Arbeit eher auf und wir fühlen uns chronisch so sehr überfordert und überlastet, dass wir nachts nicht mehr schlafen können vor lauter Sorge, den Anforderungen nicht gerecht zu werden?
Und wie sieht es in unserem Liebesleben eigentlich aus? Neulich telefonierte ich mit meiner alten Freundin Feline, die zu mir sagte: „Mich stört nichts an meinem Freund. Er regt mich nicht auf oder so. Es ist einfach alles nett und konfliktfrei. Aber ich bin weit davon entfernt, mal wieder so etwas wie Leidenschaft oder echte Lust zu empfinden. Es plätschert so dahin. Und ich mag das auch total. Unsere Gespräche, unsere Filmabende, unsere Ausflüge. Es gibt mir Sicherheit. Und ich will nicht ohne ihn leben. Aber trotzdem frage ich mich langsam: War´s das jetzt? Kann ich damit bis zu meinem Lebensende sein? Oder ist da vielleicht noch mehr?“