Bis dato verlief die Aufklärung wenig differenziert
Aufgeklärt wurde ich, wie viele Kinder der 90er und 2000er in der Schule. In den meisten Fällen gab es die gleiche Lektüre: Peter, Ida und Minimum. Ich erinnere mich in der 3ten Klasse an ein einfach gezeichnetes Comicbuch, das nicht mal das weibliche Geschlecht richtig benannt hat. Frauen hatten hier eben „Scheiden“. Fertig.
Es ging rein um die Erklärung des „mechanischen Akts“ und die grobe Anatomie der menschlichen Geschlechtsteile, ohne Lustzentren – versteht sich. In der sechsten oder siebten Klasse dann bekamen wir eine alte VHS, völlig verspult, zu sehen. Ein Aufklärungsvideo, dass sich auf den Kinsey-Report aus den 40ern stützte. Es war in erster Linie wichtig, dass wir über Schwangerschaftsvermeidung und Verhütung von Geschlechtskrankheiten aufgeklärt wurden.
Leider hat sich nicht viel verändert. In einer Umfrage auf Instagram bestätigten 90% meinen Eindruck, dass sich viele Menschen weiterhin weder richtig aufgeklärt fühlen noch in der Schule wirklich über Sexualität informiert wurden. Auch zuhause hatten sie nicht zwangsläufig Antworten auf ihre pubertären Fragen erhalten.
Doch wie wollen wir die jüngere Generation zu selbstbestimmten Menschen erziehen, wenn wir ihnen weiterhin überalterte Aufklärungsbücher und -materialien zur Verfügung stellen? Wenn die Gesellschaft davon ausgeht, dass junge Menschen sich ihr Wissen über Diversität, alternative Beziehungs-/Geschlechterkonzepte und sexuelle Orientierungen selbst aneignen, wie soll da eine echte Auseinandersetzung mit den Themen stattfinden? Beispielsweise über anhaltende Geschlechterklischees, Stigmatisierungen von homo-/bi-/transsexuellen Menschen und wichtige Debatten zu den Themen Konsens/Kommunikation/rape culture uvm. aus.
Aufklärung bei TikTok: Wie viel Potenzial wirklich in der Plattform steckt
Nach einem Gespräch mit einem Viert- und einer Fünftklässlerin, ist mir aufgefallen wie viel Potenzial in den Aufklärungsfeeds auf TikTok steckt. Die beiden beklagten sich, dass sie gerade in der Schule das Dritte Reich durchnahmen, obwohl sie gerade ganz andere Fragen hatten.
Sie hatten meinen eigenen kleinen Aufklärungskanal bei TikTok entdeckt und auch mal in meinen Sex Podcast reingehört – es ist eben wirklich alles verfügbar, auch für die Kids – und hatten jede Menge Fragen. Allerdings auch bereits jede Menge Antworten. Eigentlich wollten sie das Rezipierte nur noch einmal bestätigt haben und waren erstaunlich gut informiert. Der 10-Jährige konterte mir auf meinen Vortrag, warum homosexuelle Menschen in unserer Gesellschaft bis dato mit Ungerechtigkeiten zu kämpfen haben, sehr überzeugt, dass das ja keinen Sinn ergeben würde. Es sei ja schließlich ein Gefühl und keine Entscheidung, für welches Geschlecht bzw. welchen Menschen wir uns am Ende entscheiden.
Ich war baff. Er hatte es bereits mit zehn Jahren begriffen und zeigte mir fröhlich weitere Aufklärungsfeed auf seinem Smartphone. Seine Schwester ebenfalls. Sie nahm guten Input, z.B. über den Eisprung, die Menstruation und den Umgang mit der eigenen Periode mit. Da war ich erneut neidisch. Praktische Erklärungsvideos hätte ich mir damals definitiv gewünscht. Ich musste noch den Beipackzettel in der Binden- oder Tampon-Packung studieren und mir mit viel Fantasie vorstellen, was die einfach gezeichnete farblose Abbildung mir da suggerieren wollte.