Ich war ungefähr neun Jahre alt, als ich mich das erste Mal in ein Mädchen verliebte. Damals wusste ich noch nichts von Homosexualität, geschweige denn von Bisexualität. Liebe war für mich Liebe, und dass es für die meisten Menschen tatsächlich einen Unterschied machte, ob ich als Mädchen nun mit einem Jungen zusammen war oder einem anderen Mädchen, lernte ich erst ein paar Jahre später.
Als die ersten Menschen in meinem Umfeld sich als schwul oder lesbisch outeten, fand ich das keineswegs seltsam. Ich fragte mich lediglich, wann für mich der Moment kommen würde, an dem ich genau wüsste, ob ich mich nun eher zu Männer oder zu Frauen hingezogen fühlen würde. Der Punkt, an dem ich von mir sagen konnte „Ich bin heterosexuell!“, oder aber „Ich bin homosexuell!“.
Dieser Augenblick kam nie. Während ich damals nicht so genau wusste, welchem „Team“ ich denn nun angehöre, weiß ich heute: Ich bin bisexuell. Und das ist genauso „normal“, wie Homo- oder Heterosexualität es sind.
Fehlt immer etwas, wenn man bisexuell ist?
Dennoch sehe ich mich immer, wenn ich mich vor irgendwem als bisexuell oute, mit gewissen Vorurteilen konfrontiert. Zu den gängigsten zählt vermutlich, dass bisexuelle Menschen nicht treu sein können, weil ihnen in der Beziehung zu nur einem Menschen immer etwas fehlt. Der männliche Anteil, wenn sie mit einer Frau zusammen sind. Und der weibliche, wenn sie gerade eine feste Beziehung mit einem Mann führen.
Abgesehen davon, dass viele Menschen nicht in das binäre Geschlechtersystem passen und sowohl „typisch männliche“ als auch „typisch weibliche“ Attribute in sich vereinen, ist diese Annahme alles andere als korrekt. Wenn man mit „Geschlecht“, wie wohl die meisten Menschen, die solche Vorurteile in sich tragen, die Genitalien meint, nun, dann kann ich nur sagen, dass mir noch nie „das andere“ gefehlt hat, wenn ich mit jemandem zusammen war, denn ich verliebe mich in Menschen und das, was sie im Kopf und ihrem Herzen tragen, und nicht etwa in der Hose.