Sich frei machen – oder nackig!

Sich nackt vor nackten Fremden zu zeigen, ist gut für den Selbstwert. Sich frei zu machen von Vergleichen und gängigen Schönheitsidealen aber auch.

Man lernt wirklich nie aus. Selbst Trash-TV hält elementare Learnings fürs Leben parat. Beispielsweise die Erkenntnis diverser Ex-Kandidaten von RTL II‘s „Naked attraction“, mit gestärktem Selbstbewusstsein aus der Show gegangen zu sein. Nachdem, oder weil, ihr nackter Körper dort genaueste Begutachtung durch potenzielle, zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls nackte, potentielle Partner erfuhr.

Glücklich im birthday suit

Dass Nacktheit unter Fremden einen Selbstwert-Booster darstellt, ist tatsächlich wissenschaftlich bewiesen. Allerdings in einem etwas anderen Setting. So untersucht der britische Forscher Dr. Keon West von der Goldsmiths Universität in London schon seit mehreren Jahren die Auswirkungen von Nudismus auf das allgemeine Lebensgefühl. Zunächst durch umfassende Erhebungen und Analysen unter Anhängern der Freikörperkultur (FKK), auch Naturisten genannt, und später auch durch nudistische Feldversuche. Sein Fazit lautete: Die unsexualiserte und geschlechtsunabhängige Nacktheit in Gruppen führt zu einem besseren Körper- und Selbstwertgefühl. Und letztendlich sogar zu mehr Lebenszufriedenheit und Glück.

Nackte Tatsachen

West startete seine Studien bereits 2017 mit der Befragung von rund 850 britischen Nudisten. Die Ergebnisse wiesen einen Zusammenhang zwischen Naturismus und einem positivem Körperbild sowie einem höheren Selbstwertgefühl nach. Dass dieser positive Effekt nicht allein auf der Tatsache des Nacktseins beruhte (von Menschen, die sich grundsätzlich wohl fühlen in ihrer Haut) bewiesen weitere Versuche. Und zwar kollektive Nackt-Aufenthalte in britischen Vergnügungsparks sowie einer Bar. Die Analyse dieser Feldversuche legt nahe, dass das Selbstwertgefühl in dem Maße wächst, wie die soziale körperliche Beklemmung sinkt. Wests Thesen stützen die Ergebnisse anderer Studien, welche das Erfahren vielfältiger nackter Körperformen mit einem positiven Körperbild in Zusammenhang bringen.

No body is perfect

Auch wenn die Vorstellung, sich im Adam- oder Eva-Kostüm unters nackte Volk zu mischen, für Viele eher ein Horrorszenario darstellt, sollte der Gedanke nicht voreilig verdrängt werden. So kann kollektive Nacktheit, also die natürliche ganz normale Nacktheit mit Dellen, Polstern, Falten oder körperlichen Hängepartien einen ziemlich wohltuenden Effekt haben. Durchschnittliche Körper von durchschnittlichen Menschen jeden Alters zu sehen, ist ein beruhigendes Gefühl. Denn die banale Erkenntnis, dass no body perfect ist, kann einen wirklich erden. Und die Zufriedenheit mit dem eigenen Körper steigern.

Abwertende Vergleiche

Der Umkehrschluss bedeutet allerdings, dass das allgemeine Wohlbefinden all jener, die mit ihrem Körper hadern, dadurch beeinträchtigt wird. So war der Anlass für Wests Studien dann auch die weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, geschürt durch gesellschaftliche Ideale. Wer seinen Körper ständig mit gephotoshopten oder gelifteten Dekolletés, Pos und Sixpacks vergleicht, kann nur den Kürzeren ziehen. Kommt dann noch Bodyshaming von außen hinzu, wächst die Unzufriedenheit mit dem Körper in demselben Maße, wie das Selbstwertgefühl schwindet.

Sich von allem frei machen

Müssen wir nun alle der Freikörperkultur frönen wie zu DDR-Hochzeiten, um die Unzufriedenheit mit unserem Körper abzuschütteln? Vielleicht ist das gar nicht nötig. Sich von Schönheitsidealen und Vergleichen frei zu machen, kann schon ein erster Schritt zu einem besseren Körper- und Selbstwertgefühl sein. Dann bliebe einem das kollektive Blankziehen erspart. Wer trotzdem Lust darauf verspürt – und Saunen oder FKK-Strände als mainstream verpönt – kann sich ja für die nächste Staffel „Naked attraction“ bewerben.


Weitere interessante Beiträge
Mann und Frau flirten in der Bar
Weiterlesen

Warum Konsens so wichtig ist

Warum Konsens eigentlich wichtig ist? Darauf könnte ich jetzt ganz einfach antworten: Darum. Aber so einfach ist das eben nicht, sonst würde es schließlich nicht seit geraumer Zeit eine öffentliche Diskussion darüber geben.