Sich für die Ehe aufzubewahren ist nur in wenigen Milieus überhaupt ein Thema und was dort getan und worüber gesprochen wird, sind zwei unterschiedliche Dinge. Zur persönlichen Entwicklung gehört die Sexualität dazu. Das bedeutet, man trifft leider häufig auf Blockaden oder traumatische Erfahrungen bei Menschen, die auf die Entdeckung ihrer Sexualität gänzlich verzichten. Die Angst vor dem ersten Mal ist dabei normal. Bei Männern ist die Angst vor Versagen nicht selten, weil gesellschaftlich erwartet wird, dass der Mann viele Erfahrungen gemacht hat: Das gängige Bild von Maskulinität mit einem trainierten, starken Körper und ständiger Bereitschaft und Lust gaukelt das leider vor. Dieser Druck führt dazu, dass viele Jugendliche erst spät erste Erfahrungen machen, denn sie befürchten, den Anforderungen nicht gerecht zu werden. Frauen müssen nicht jungfräulich in die Ehe, wenn sie nicht von Familie oder Religion dazu gezwungen werden, dennoch ist auch hier das Bild nach wie vor, dass von ihnen erwartet wird, nicht „einfach zu haben zu sein“.
Lisa empfindet es als Vorteil, nie einen anderen Sexpartner gehabt zu haben
“Ich habe nie die Erfahrung von One Night Stands vermisst”, sagt Lisa. “Ich habe meine Erfahrungen gesammelt mit dem Mann, den ich liebe.” Sie strahlt ihren Mann an, der jedoch revanchiert sich für die erlebten Zurückweisungen mit einem verbalen Seitenhieb. “Die Anzahl der Sexpartner macht auch nicht glücklich. Glücklich macht eine erfüllte Sexualität. Mit wie vielen Übungspartnern vorher ist dabei völlig unerheblich.”
Am Ende zählt für ein Paar vor allem, dass beide Partner gut miteinander verhandeln können, wie sie ihre Leidenschaft ausleben. Ob sie das nur miteinander, mit anderen Paaren, zu dritt oder in einer offenen Beziehung tun, ist ganz allein deren Ding. Aber auch mit dem perfekten Partner an der Seite läuft das evolutionäre Programm der sexuellen Anziehung weiter ab. Das lässt sich nicht abstellen. Ich erlebte in der Paartherapie immer wieder Paare in monogamen Langzeitbeziehungen, von denen ein Partner durchaus zufrieden war mit dem Sexleben, dann aber plötzlich beispielsweise durch einen Arbeitskollegen oder anderen unerwarteten Kontakt emotional völlig aus der Bahn geworfen wurde und sich fremdverliebte. Was in den meisten Fällen wohl eine starke sexuelle Anziehungskraft darstellt, in der ein wenig nachgeholt wird, was zuhause fehlt, wird jedoch häufig emotional aufgewertet, vielleicht sogar zu einer Seelenverwandtschaft überhöht, die dann die Beziehung zum Partner zerstören kann. Und nicht selten zeigt sich nach dem Ausleben der Affäre, dass die echte Erfahrung der brennenden Leidenschaft und Fantasie nicht mithalten konnte mit der Vertrautheit und Geborgenheit zuhause. Doch dann ist es oft zu spät, die Beziehung zu retten.
Bedeuten sexuelle Fantasien, dass der Partner nicht genug ist?
Ob es denn manchmal erotische Gedanken gäbe, die nicht mit Felix zu tun hätten, frage ich Lisa. Sie verneint zunächst, aber als Felix auflacht und sie ermutigt, ehrlich zu sein, fallen die Namen einiger Schauspieler. Und der eines Fußballspielers. Interessanterweise sehen alle ihrem Felix ziemlich ähnlich. Er nimmt das als Kompliment. Trotz der vielen Zurückweisungen, die er erlebt, fühlt er sich ganz offensichtlich nicht bedroht. Ob er manchmal an andere Frauen denke? “Klar finde ich manche Frauen attraktiv, aber Sex will ich nur mit ihr”, stellt er glaubhaft dar.
Das halte ich gar nicht für verwunderlich, obwohl es nicht ganz dem Klischee entspricht. Doch weil Felix sich deutlich mehr Intimität wünscht, ist sein Begehren überwiegend unerfüllt, und es fokussiert sich ausschließlich auf Lisa. Er hat wilde, unerfüllte Fantasien mit ihr in der Hauptrolle. Sie allerdings hat nicht einmal die Fantasie für Fantasien. Alles spielt sich in ihrer Komfortzone ab. Und die scheint kaum flexibel.