„Mein Mann hat mir so lange nichts davon erzählt …“
Bei diesem Satz wird der Weg zumindest uneben oder sogar steinig. Was die Heldin nicht verringert, aber in diesem Fall liegen Glück und Unglück so nahe beieinander, dass man als Ansprechpartner achtsam werden muss.
Manche Frauen finden geheime Schätze ihres Mannes. Das kann eine versteckte Toy-Kiste sein, Porno-DVDs, Fotos, hin und wieder genügen auch einfach ein nicht gelöschter Browser-Verlauf oder verräterische E-Mails auf dem Laptop. Nach vielen Jahren passiert so etwas, irgendwann kommt die Wahrheit heraus, das ist Murphys Gesetz. (…) Wenn nach Jahren oder Jahrzehnten eine unausgesprochene Fetischleidenschaft, eine SM-Sexualität, ein Dauer-Abo im Pornokino oder sogar eine lebensechte Geliebte auf dem Tisch liegen, bewegen sich die Dinge plötzlich doch rasant.
Menschen wie ich halten das übrigens für das Beste, das passieren kann, damit sich Partner endlich auseinandersetzen müssen. Die Realität ist ja nicht weniger real, nur weil ich meine rosarote Lieblingsbrille trage und deshalb die Hälfte dessen, was die Sehnsucht meines Partners ausmacht, nicht sehen kann. Wenn einer von zweien sexuell etwas so sehr vermisst, dass er sich ein Ventil dafür außerhalb der Beziehung sucht, dann betrifft dieses Fehlen beide. Und es verpufft weder durch bittere Vorwürfe noch emotionale Bestrafung im Nirwana. Das ist so. Ob es ins eigene Weltbild passt oder auch nicht. Die wütende Aufforderung „Verkneife sie dir einfach in Zukunft!“ wird von echten Sehnsüchten dummerweise nicht akzeptiert. In den meisten Fällen ist es der Mann, dessen dunkles Geheimnis gelüftet wurde. Und wenn es dann wie die 13. böse Fee in der Besucherritze des Ehebettes liegt, sind es die Frauen, die sich damit auseinandersetzen müssen.
Gar nicht so selten entwickeln sich diese nach dem ersten Schreck zu Heldinnen und informieren sich – na, wo wohl? – bei uns weiblichen Angestellten im Sexshop. Das ist kein Spaziergang für uns, denn zum einen haben wir dann mit extrem verunsicherten Menschen zu tun, deren privates Weltbild einen fetten Sprung aufzuweisen hat. Zum anderen halten wir zwar viel von Frauensolidarität, aber es macht ja eben keinen Sinn, so zu tun, als wäre der fremde Kerl einfach ein Vollidiot, der mal eben leichtfertig bereit ist, seine Familie irgendeiner sexuellen Verwirrung zu opfern. So ticken Männer selten.
Wenn es gut läuft, kommen diese Frauen mit einer gewissen Neutralität zum geheimnisvollen Thema und möchten gerne wissen, was es bedeutet. Was es für ihn wohl ausmacht, wie seine Empfindungen dabei sind, auch, ob es in anderen Augen denn noch als normal empfunden wird. Das ist keine schlechte Basis, denn sie drehen sich damit weniger um den eigenen Schmerz, sondern interessieren sich für die Bedürfnisse des Partners. Sie wollen verstehen, was es ist, um anschließend zu sehen, ob sie es vielleicht nicht nur mittragen, sondern auch miterleben könnten. Das ist ein Prozess, keine Frau wirft sich von heute auf morgen ins Hardcore-Domina-Outfit und serviert den Sonntagsbraten mit Peitschenknallen, aber es kann ein sehr spannender Weg sein, klischeefrei eine neue gemeinsame Sexualität zu kreieren.
Ich habe vor diesen Heldinnen eine Menge Respekt. Und nicht selten kann man ein kleines Blitzen in ihren Augen sehen, wenn sie sich ein neues Outfit aussuchen und sich vielleicht sogar im edlen Latexkleid oder den hohen Stiefeln ebenso sexy finden, wie der Gatte es sicherlich tun wird. „Warum hat er mir nicht einfach schon viel früher davon erzählt?“ – es gibt diesen Satz und ihn hier zu lesen, sollte und möchte eine Menge Mut machen. Ich wünsche ihn ganz, ganz vielen Paaren, die die Courage finden, sich ihre Wünsche gegenseitig einzugestehen.
Bedeutend schwieriger wird es, wenn nicht nur das dunkle Geheimnis gelüftet, sondern vom großen Sehnsuchtsträger gleich eine lange Wunschliste zur gefälligen Abarbeitung an die Gattin übergeben wurde. Es ist keine schöne Aufgabe für uns, Frauen zu beraten, die mit vor Schreck geweiteten Augen von Produkt zu Produkt wandern (…). Eine To-do-Liste an Praktiken geht eigentlich immer schief. Ich wünschte, das würden mehr Männer vorher wissen und beachten. Es ist ein Unterschied, ob man sich die Zeit nimmt, gemeinsam zu erkunden, was beiden Spaß bringen könnte, oder ob ich mit meinem Outing den Partner zum Erfüllungsgehilfen machen möchte.
Und aus diesem Grund trage ich den Horror-Maso-Trip einer versuchten Heldin auch niemals lange mit, sondern schwenke komplett auf die Psychotante um, die alles versteht, aber nicht alles gutheißt. Niemand kann, soll oder muss für einen anderen Lustvolles lustlos tun oder sich damit herumquälen. Keiner kommt aus seiner Haut, weder der Sehnsüchtige, noch der/die damit Überforderte. Das wird im Ergebnis traurig für ein Paar, das sexuell einfach nicht (mehr) kompatibel ist.
Manche weisen sich noch geraume Zeit gegenseitig Schuld zu oder schweigen sich darüber tot, keine Ahnung, was schlimmer ist. Die einen finden den Kompromiss einer Absprache mit Freiheiten, was nicht der schlechteste Weg sein muss. Denn über kurz oder lang scheitern diese Beziehungen, wenn weder gemeinsamer noch freier Weg möglich ist. Und auch wenn es schwer zu akzeptieren sein mag: Keiner trägt Schuld daran. Niemand kann sich zu (s)einer Sexualität zwingen. Aber es kann sie auch keiner einfach lassen, wenn er sie in sich spürt. Das eine wie das andere zu verlangen, wäre unmenschlich.
„Ich muss meine Ehe retten!“
Die Dritte aus dem Bunde der Heldinnen könnte mir manchmal das Herz zerreißen und auch wenn wir in unterschiedlichen Welten leben, empfinde ich nichts an ihr als lächerlich. Immer wieder erlebe ich Frauen, die einen großen Abstand zu Toys halten und den Anlauf eher über unsere sehr gut sortierte Buchabteilung nehmen. Über die Theorie zur Praxis scheint der Plan zu sein, was ja auch eine Möglichkeit darstellt, gerade wenn es sich um Frauen handelt, denen deutlich anzusehen ist, wie unwohl sie sich in der Konfrontation mit Sexualität fühlen.
Ich erinnere mich an eine Dame, vielleicht Ende dreißig, mit dem Wunsch, einen Buchtitel umzutauschen, den sie am Tag zuvor erworben hatte. Sie wirkte absolut glaubhaft damit, dass das Buch ungelesen sei, denn sie hätte sich versehentlich für das falsche Thema entschieden. Einen Analsex-Ratgeber hatte sie in der Hand, was inhaltlich ganz furchtbar für sie wäre, eigentlich hätte sie eine Anleitung für Oral gesucht, aber sich eben mit den Begriffen vertan.
Nach zwanzig Minuten kam sie mit einer Auswahl an Büchern wieder auf mich zu, die sich allesamt deutlich um sexuelle Fantasien und Bedürfnisse von Männern drehten und wollte einen Tipp, welches das beste davon sei. Und ich antwortete ihr ganz ehrlich, dass ich ihr gerne eines für Paare empfehlen würde, weil es doch ein recht schöner Weg sei, zu sprechen und zu entdecken, worauf man gemeinsam Lust bekommen könnte. Dieser eine lächelnde Satz reichte bereits aus, um die Dame völlig in Tränen aufgelöst zu sehen. Dass sie dafür keine Zeit hätte, weil alles gerade kaputt ginge und sie sich doch ganz schnell etwas einfallen lassen müsse, damit ihr Mann sie nicht verlasse. Sie könne nicht allein sein, sie brauche doch die Sicherheit ihrer Familie und dann müsse sie jetzt eben schnell lernen, was er möchte.