Schnell noch ein prüfender Blick in den Spiegel. Die Frisur sitzt, der Lippenstift hält, die Pumps passen zur Handtasche. Sarah ist zufrieden. „Heute möchtest du es aber wissen, oder?“ scherzt ihre Freundin. Sarah lächelt nur, ohne zu antworten. Vor allem will sie sich schön fühlen und niemanden bezirzen. Denn bevor Sarah überhaupt so etwas wie eine körperliche Anziehung verspürt, muss sie sich einem Menschen emotional verbunden fühlen. Sie ist demisexuell
Was ist demisexuell?
Verspürt ein Mensch erst dann sexuelle Anziehung, wenn er zu einer Person zuvor eine emotionale Bindung aufgebaut hat, ist er laut Definition demisexuell. Demisexuelle Menschen können hetero-, homo- oder bisexuell sein. Es geht nicht darum, zu wem man sich hingezogen fühlt, sondern darum, wie diese Anziehung zustande kommt.
Es wird weitläufig als Norm angesehen, aufgrund von optischen Äußerlichkeiten oder Eigenschaften wie Geruch und Stimme sexuelle Anziehung zu verspüren. Für Demisexuelle ist dieses Empfinden jedoch fremd. Ihre Turn-ons sind die vielzitierten inneren Werte. Sie können erst Lust auf Sex empfinden, wenn sie eine tiefe Verbindung zu ihrem Partner aufgebaut haben und ihr Bedürfnis nach Vertrauen gestillt ist. Erst wenn in einem Menschen ein liebenswürdiges und individuelles Wesen zu erkennen ist und zu spüren ist, dass gleiche Empfindungen entgegengebracht werden, entwickeln sich Lust, Verlangen und Begierde. Einige Personen sind sogar demiromantisch: Für sie ist eine zuvor aufgebaute emotionale Verbindung Grundvoraussetzung dafür, überhaupt eine romantische Anziehung zu verspüren.
Sex gilt noch immer als wichtigstes Entscheidungskriterium für eine längerfristige Beziehung und während es nicht leicht ist, Anderen zu vermitteln, dass dieser nicht alleinentscheidend für eine erfüllte Partnerschaft ist. Da das gesellschaftlich weit verbreitete Bild von Sexualität leider noch immer tendenziell eher schwarz-weiß und nicht bunt wie die Regenbogenfahne ist, gelangen Demisexuelle oftmals in Erklärungsnot.
Abgrenzung zu anderen sexuellen Orientierungen
Neben der Demisexualität gibt es noch andere Formen der Sexualität, die weniger geläufig sind und sich eher in einer Grauzone befinden. Die bekannteste von ihnen ist sicherlich die Asexualität, bei der Betroffene schlichtweg gar keine sexuelle Anziehung empfinden. Eine romantische Anziehung ist jedoch möglich, weshalb auch asexuelle Personen durchaus in einer (rein platonischen) Partnerschaft leben können. Die Beziehung einer demisexuellen Person kann in der Frühphase durchaus mit einer asexuellen Partnerschaft verglichen werden, ist jedoch nach dem Entstehen einer tiefen emotionalen Verbundenheit und den daraus resultierenden sexuellen Aktivitäten nicht mehr von einer herkömmlichen Beziehung zu unterscheiden. Wer seine sexuelle Orientierung noch nicht abschließend geklärt hat, kann die Frage „Bin ich demisexuell?“ also oft erst in einer späteren Phase der Beziehung klären.
Dass es für sexuelle Orientierungen keine klaren Grenzen gibt, beweisen nicht zuletzt auch Begriffe wie die Pan- beziehungsweise Omnisexualität. Pansexuelle Menschen treffen keine Vorauswahl nach sozialem oder körperlichem Geschlecht.