Wie mein Freund mich zum Kuscheljunkie transformierte

Ein erhöhter Kuschelbedarf ist vor allem zu Beginn einer Beziehung ganz normal. Da diese Phase bei Gastautorin Julia Bencker und ihrem Partner nun schon über sieben Jahre andauert, befürchtet sie, dass sie süchtig nach der körperlichen Zuwendung Ihres Freundes ist. Ein nicht ernstgemeinter Hilferuf

Ich bin eigentlich kein großer Fan von übertriebener Zurschaustellung von Zuneigung. Normalerweise reduziere ich Körperkontakt auf das soziale Minimum. Umarmungen unter Freunden sind okay, Händeschütteln und High Fives auch – in Maßen. Davon jedoch abgesehen empfinde ich Menschen, die alles und jeden sofort zu Tode knuddeln wollen, immer als etwas too much.

Außer meinen Freund. Meine Güte, kann man mit dem gut kuscheln. Bei meinen bisherigen Partnern stand Knutschen, Händchenhalten und Kuscheln natürlich auch auf der Tagesordnung. Aber wie in jeder normalen Beziehung nahm das irgendwann von selbst ab und pendelte sich auf ein sozial verträgliches Maß ein.

Nicht so mit meinem jetzigen Partner. Wir sind nach fünf Jahren Beziehung langsam aus der „Bitte, um Himmels willen, nehmt euch ein Zimmer!“-Phase rausgewachsen und schaffen mit inzwischen siebeneinhalb Jahren auf dem Kerbholz ganze Abende in der Öffentlichkeit ohne ausgiebige Kuscheleinlagen. Manchmal. Meine Freunde begehen hinter meinem Rücken nach wie vor pantomimisch Harakiri, wenn wir uns mal wieder mit Umarmungen und Küssen ganz besonders an unserer Liebe erfreuen.

Süchtig nach Körperkontakt – oder sind es doch nur die Hormone?

Ich frage mich ja schon manchmal, ob das normal ist. Bin ich am Ende süchtig nach den Umarmungen meines Partners? Die, wenn er mich ärgern will, immer zu lange dauern und etwas zu fest sind? Manchmal begräbt er mich sogar komplett unter seinem Körper und verkündet fröhlich, eine „menschliche Decke“ zu sein. Mir geht dann meistens die Luft aus. Ich glaube, gleich sterben zu müssen. Und bin dabei sehr, sehr glücklich.

Das Hormon, nach dem wir augenscheinlich süchtig sind, heißt Oxytozin. Wissenschaftler weisen ihm unter anderem sozial bindende und empathische Funktionen zu, weshalb es in der Vergangenheit den Spitznamen „Kuschelhormon“ von der Presse erhielt. Gibt es eigentlich auch Oxytozin-Pillen, die uns beim täglichen Kuschelbedarf entlasten können? Ich habe Angst, irgendwann kein geregeltes Leben mehr führen zu können, ohne dass er dabei ist und mir die Hand hält – im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich gelobe Besserung – nicht!

Wenn mein Freund beim gemeinsamen Tatort-Schauen am anderen Ende des Sofas chillt (unter gewöhnlichen Umständen vollkommen nachvollziehbar), habe ich sofort das Gefühl, dass er mich nicht mehr liebt. Manchmal halte ich tapfer eine ganze halbe Stunde durch, bevor ich mich lautstark beschwere und ihn dazu nötige, wenigstens mein Knie zu streicheln.

Dafür kann ich morgens kaum die Wohnung verlassen, ohne ihm noch mindestens fünf Umarmungen und Küsse zu schenken. Wenn wir gemeinsam Fahrrad fahren, finden wir es schade, dass wir dabei nicht Händchenhalten können. Am Anfang fand ich so viel Aufmerksamkeit befremdlich – jetzt kann ich ohne nicht mehr leben.

Außer Dienstag-, Mittwoch- und Donnerstagabend und häufig auch am Wochenende. Da bin ich nämlich beschäftigt. Zwischen Chor, Bandprobe, Bikekitchen, Freundschaftspflege, Sport, Parties – ach ja, und Arbeit –  bleibt kaum Zeit übrig für ein verkuscheltes Beziehungsleben. Dazu kommen die seltsamen Arbeitszeiten meines Liebsten und seine eigenen Hobbies und Aktivitäten.

Unsere Kuschelsucht ist daher am Ende vielleicht gar nicht so tragisch, wie sie klingt und mein Hilferuf auch nicht besonders ernst gemeint. Ich freue mich einfach darüber, dass mein Freund und ich zwischen Tür und Angel immer noch die Zeit finden, einander kurz in den Arm zu nehmen und unsere Zweisamkeit zu genießen. In diesen Momenten hält der Alltag kurz inne – und danach kann es mit frischer Energie weitergehen.


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