Weshalb die Igel-Strategie Paaren schadet

Im Herbst ziehen sich viele Paare zurück ins Nest und vernachlässigen ihr Sozialleben. Warum es besser ist, nicht gemeinsam im Keller zu überwintern – sondern jetzt erst recht rauszugehen

Ähm, wer hat bitteschön an der Uhr gedreht? Gerade hat sich Deutschland noch über muckelige Spätsommertemperaturen gefreut, dem Eisverkäufer des Vertrauens ein letztes Mal Joghurt-Kirsch und Cookie in der Waffel abgeknöpft, die Nase in Richtung Sonne gereckt und die Leder-, Strick- und Übergangsjacken ausgeführt. Doch kaum standen wieder Spekulatius und Lebkuchen in den Regalen der Republik, hat auch Petrus urplötzlich in den Wintermodus geschaltet und das Quecksilber mit einem Wisch ins Thermometertal geschickt. Es ist kalt. Und wo ist man da schon lieber als im Warmen, also Zuhause, also mit einem Tee und Schmusedecke auf dem eigenen Sofa? Genau, so ungefähr nirgends ist man lieber, jetzt, wo der Wind um die Häuser pfeift und die Farbe des Himmels zwischen Maus- und Dunkelgrau rangiert. Und was für Singles gilt, gilt für die ohnehin bequemeren Paare erst recht: Wer sich liebt, macht jetzt abends und am Wochenende immer öfter „eher ruhig“ und verlässt das Haus maximal, um mit dem Hund rauszugehen oder den Snack-Vorrat aufzustocken.

„Tim und die anderen wollten was machen. Hab abgesagt.“

Kochen, kuscheln, Lieblingsserie: Das Bedürfnis nach Nähe, Gemütlichkeit und Kohlehydraten ist eine typische Nebenwirkung des Herbstbeginns. Der Mangel an Sonnenlicht schlägt dem Durchschnittsmenschen auf die Stimmung, der Aktivitätsdrang sinkt und aufgrund uralter Veranlagungen futtert man sich instinktiv Reserven für einen Winterschlaf an, der leider niemals einsetzt. Dass draußen vor den doppelt abgeschlossenen Türen trotz Wetterkapriolen noch Partys steigen, Filme gezeigt und Ausstellungen eröffnet werden, ist vielen Paaren jetzt einfach schnuppe. Die Single-Freunde haben Langeweile? Morgen ist dieser richtig gute Flohmarkt? Egal, das Bettdeckchen ist noch immer das wärmste Jäckchen und mit dem Partner ist es sowieso gleich doppelt so schön. Oder etwa nicht?

Die Krux bei der Sache

Natürlich, zumindest eine Zeit lang. Wer aber auf Dauer jeden der sieben Wochentage gemeinsam im Igelnest verbringt, stumpft nicht nur nach außen ab und vernachlässigt sein sonstiges Sozialleben, sondern tritt sich irgendwann auch zwangsläufig gegenseitig auf die Füße. Zwar können insbesondere gut eingespielte Langzeitpaare das Abschottungsduett relativ lange problemfrei spielen, doch auch hier wird es einem oder beiden nach einer Weile meist zu eng. Und das liegt im Normalfall nicht an einem Fehlverhalten oder nervtötenden Wesenszügen des Partners, sondern ganz einfach an ein bisschen zu viel Nähe. Man sieht den anderen nur noch mit Pyjama und Sturmfrisur, überlässt das Reden dem Fernseher und stopft sich abwesend Häppchen in den Mund, während einer aufs Handy und der andere in den Laptop guckt. Man wird eins mit dem Wohnungsinventar und hat sich bald womöglich ungefähr genauso viel zu sagen wie der Teppich dem Sofatisch. Und genau das ist das Problem, denn: Wer freut sich schon auf seinen Teppich, wenn er abends nach Hause kommt? Eben.

Einigeln in Maßen

Zwar kann intensiv genutzte Zeit zu zweit, also gute Gespräche und hochdosierte körperliche Nähe, die Beziehung durchaus stärken. Wichtig ist jedoch, zwischendurch auch mal die wichtigsten Kontakte und den Austausch mit der Außenwelt zu pflegen, gemeinsam neue Eindrücke zu sammeln und sich (natürlich rein platonisch) mit anderen Menschen zu umgeben. Das verschafft beiden Partnern Raum, sich mal wieder wirklich aufeinander zu freuen und einen ungestörten Abend herbeizusehnen, den man dann auch in vollen Zügen genießt. Selbst wenn einen also der Herbstblues gepackt hat und das Aufraffen schwer fällt, ist Rausgehen noch immer die beste Medizin. Körper und Geist lechzen jetzt nämlich insgeheim nach Tageslicht, Bewegung und vor allem: frischer Luft. Und genau die braucht auch die Liebe ab und zu – ein Wohnzimmerfenster auf Kipp reicht da leider meist nicht aus.

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