4. Organisation und Kontext
Wenn Nadine und Simon sich trennen würden, dann würde es auch die Kinder betreffen. Der Große macht ja nächstes Jahr Abitur, es wäre wirklich ungünstig, wenn man ihn zu diesem Zeitpunkt mit einer Trennung und einem Umzug belastet. Und Schwiegervater hat schon die Renovierung des Gartenhauses begonnen, da könnte der Große dann einziehen. Es würde also gar nicht passen, wenn Simon jetzt ausschert, nur weil er nicht richtig glücklich ist.
Wie kommt man dennoch aus der Falle
Gegen ein gewisses Durchhaltevermögen und Ehrgeiz an einem Projekt und einer Beziehung festzuhalten, auch wenn sie ins Wanken gerät, ist grundsätzlich natürlich überhaupt nichts auszusetzen. Im Gegenteil: In den allermeisten Beziehungen gibt es Krisen, deren gemeinsame Überwindung die Liebe und die Partnerschaft stärken. Aber irgendwann macht es unglücklich (in unserem ersten Fall) oder ist ungesund und macht sogar krank (in unserem zweiten Fall), an einer Beziehung festzuhalten. Wann der Punkt gekommen ist, wann es besser ist auszusteigen und einen anderen Weg einzuschlagen, ist natürlich individuell verschieden und es lässt sich sicher kein pauschaler Ratschlag erteilen.
Wichtig ist, dass sich Menschen in solchen Entscheidungssituationen bewusst machen, was sie in der Beziehung hält und was dagegenspricht, den Kontakt aufrechtzuerhalten und an die Partnerschaft weiter zu glauben. Bei diesem Prozess kann es helfen, ein Stück zurückzutreten und sich vielleicht auch einmal – etwas rationaler – einer Theorie wie der des eskalierenden Commitments zu bedienen, um Licht ins Dunkel der Verstrickung zu bringen. Es kann es hilfreich sein, eine Freundin (oder auch professionelle Helfer) zu fragen, die Situation gemeinsam zu analysieren. Der Blick von außen kann nützlich sein, die eigene Sichtweise zu schärfen. Keine Lösung ist, die Augen zu verschließen und einen einmal eingeschlagenen Weg unbeirrt und stur fortzusetzten, nur weil „man das so macht“. Natürlich kann es erst einmal leichter erscheinen, einfach so weiterzumachen wie bisher. Aber dient es den eigenen Wünschen und Lebenszielen?
Zurück zu unseren beiden Fällen
Für Tina und Simon wäre es zunächst wichtig, die eigenen Ziele und Wünsche zu überprüfen. Sind sie noch der Überzeugung, dass der eingeschlagene Pfad zur Erfüllung dieser führt? Simon sollte das Gespräch mit Nadine suchen. Die Beiden haben ein Problem, das vielen Paaren nicht unbekannt ist. Der Alltag hat sie so fest im Griff, dass Aufmerksamkeit für den anderen auf der Strecke bleibt und kaum Energien in gemeinsame Unternehmungen gesteckt werden. Vielleicht erfährt Simon, dass Nadine die gemeinsame Zeit und das Miteinander genauso fehlen. Dann hat das Paar eine Chance etwas zu verändern und neuen Schwung in die Beziehung zu bringen. Wenn Simon feststellt, dass es nicht die Kosten des Ausstiegs oder die fehlenden Alternativen sind, die ihn an Nadine binden, sondern immer noch echte Gefühle da sind und er nach wie vor mit ihr zusammen sein will, dann ist der gemeinsame Weg der Beiden noch nicht zu Ende. In diesem Falle wirkt das Commitment stabilisierend auf die Beziehung.
Für Tina und Jakob hingegen stehen die Chancen für die Partnerschaft deutlich schlechter. Gewalt ist nie ein Weg und Ausdruck der Liebe. Auch Beteuerungen, es nie wieder zu tun oder der Charme eines Menschen können dieses Fehlverhalten nicht entschuldigen. Außerdem ist daran zu zweifeln, ob Jakob wirklich an einer Partnerschaft interessiert ist. Untreue oder sonstiges Ausleben von „Freiheiten“ auf Kosten der Gefühle des Gegenübers ist sicher kein Indiz dafür, romantische und ehrliche Gefühle für jemanden zu hegen. Im letzteren Falle investiert man Zeit, Energien und Emotionen, um den anderen für sich zu gewinnen und ist darum bemüht, dass es ihm gut geht. Jakob scheint es jedoch egal zu sein, ob er Tina mit seinem Verhalten verletzt oder nicht. Deshalb ist Tina zu wünschen, ihren eigenen und neuen Weg ohne Jakob zu finden.
1 Teger, Allan I. (1980): Too much invested to quit: Pergamon General Psychology Series
2 Staw, B.M. (1997): The Escalation of Commitment: An Update and Appraisal. In: Organizational Decision Making. Hrsg.: Shapira, Z. Cambridge University Press, Cambridge 1997, S. 191-215.
3 Staw, B. M. / Ross, J. (1989 ): Understanding Behavior in Escalation Situations. In: Science, 246. Jg., S. 216- 220.
Staw, B. M. / Ross, J. (1987): Behavior in Escalation Situations: Antecedents, Prototypes, and Solutions. Research in Organizational Behavior, Vol. 9, S. 39- 78.
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