Die britische Psychologin und Bestseller-Autorin Linda Papadopoulos wünscht sich im Interview weniger Zwang zum Perfektionismus für junge Frauen
Eric Hegmann: Alles muss perfekt sein. Der Job, die Freunde, die Freundschaft und natürlich die Beziehung. Existiert Perfektion eigentlich überhaupt?
Linda Papadopoulos: Perfektion und Erfolg sind heute ein gesellschaftlicher Fetisch. Das schafft zwei Probleme: Erstens scheint Vollkommenheit leicht erreichbar zu sein, denn wir sehen sie an jeder Plakatwand. Zweitens wird uns suggeriert, Vollkommenheit würde uns glücklich machen. Beides ist gelogen, aber beide Botschaften werden dennoch verinnerlicht.
Woher kommt diese Forderung nach Vollkommenheit?
Es geht um unseren Wunsch, Dinge zu kontrollieren und kontrollieren zu können. Das hat damit zu tun, dass wir beispielsweise in sozialen Medien unsere Leben für andere dokumentieren wollen. Wir sind dadurch sehr selbstbezogen geworden, wir wissen genau, wofür uns Menschen mögen oder wofür nicht. In der Konsequenz breiten wir unser Ich für Fremde aus, damit sie das kommentieren. Uns wird immer wichtiger wie wir auf andere wirken und wir wollen diese Außenwirkung beeinflussen. Je mehr wir dieses Produkt “Ich” kontrollieren können, umso sicherer fühlen wir uns. Bin ich vollkommen, kann niemand mehr etwas Schlechtes über mich sagen. Wenn ich es schaffe, perfekt zu werden, muss ich mich nicht mehr mit Selbstzweifeln plagen.
Wir vergleichen uns andauernd mit anderen. Welchen Einfluss haben die sozialen Medien auf unser Selbstbewusstsein?
Toxisch. Im Buch beschreibe ich eine Studie, die untersucht, wann Menschen was posten. Sie tun es, wenn es ihnen gut geht. Wenn Sie etwas Gutes zu berichten haben: über ihren wundervollen Restaurantbesuch, die Beförderung oder die fantastische Beziehung. Aber wann sehen Menschen sich die Superbilder auf Instagram vom Traumurlaub in der Karibik an? Wenn sie sich schlecht fühlen und Ablenkung suchen. Die Diskrepanz zwischen meiner gefühlten Lebenssituation und der vermuteten Lebenssituation der anderen könnte gar nicht größer sein. Soziale Medien sollten uns eigentlich verbinden, aber sie trennen uns immer mehr. Weil wir uns ununterbrochen vergleichen. Das machen wir immer aufwärts, also schneiden wir dabei grundsätzlich schlechter ab. Das allein ist schon nicht gut. Hinzu kommt aber, dass das, was wir sehen, keineswegs echt ist. Es ist gefiltert worden durch Kontrolle und dem Bedürfnis nach bestmöglicher Darstellung. Wir posten die schönen Momente des Lebens, selten die wirklich schmerzhaften. Nicht den Abend auf dem Sofa, sondern das tolle Essen und das Designer-Kleid.
Wie gesund für junge Frauen sind denn beliebte Online-Quizzes wie: Welche Disney-Prinzessin sind Sie?
Für Frauen bedeutet das die völlige Reduzierung auf ihr Äußeres. Als Frau kannst du den Nobelpreis überreicht bekommen und in der Presse wird stehen, wie du dabei ausgesehen hast. Frauen einzureden, ihr größter Wunsch müsse sein, begehrt zu werden, ist sehr populär in allen Medien. Oberflächlich wirkt das niedlich und harmlos. Aber darunter bedeutet es doch, Frauen sollen rumsitzen, schön aussehen und warten bis ein Prinz kommt. Ich glaube nicht, dass das für junge Frauen eine gute Botschaft ist. Überhaupt ist der Vergleich mit Cartoon-Figuren doch eigentlich lächerlich. Wir sehen ja nicht einmal in Wirklichkeit aus wie auf unseren Fotos, weil wir die nur im besten Licht und vor dem schönsten Hintergrund aufnehmen – und danach bearbeiten.
Wie kommen wir alle aus dieser Tretmühle von Druck, Selbstzweifel und Selbstoptimierung heraus?
Es könnte damit beginnen zu begreifen, dass es einen Unterschied zwischen dem gibt, was ich mir wünsche und dem was mir zusteht. Dann sollten wir uns ermutigen, Fehler zu machen statt uns vor ihnen zu fürchten. Erfolg ist gar nicht möglich ohne Rückschläge. Wir müssen in unseren Köpfen und in unserem Leben Raum schaffen für mehr Vertrauen in uns und andere.