Die Liebesehe ist eine Schöpfung des aufstrebenden Bürgertums im 18. Jahrhundert. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Liebe und Sexualität außereheliche Angelegenheiten. Ehen wurden unter Aristokraten geschlossen, um Dynastien abzusichern oder auszubauen. Bei den städtischen und bäuerlichen Ehen handelte es sich um wirtschaftliche Zwangsgemeinschaften – alles ausgesprochen nüchtern. Die Epoche der Romantik gab dem Bürgertum das Ideal von Vereinbarkeit von Ehe, Erotik und Liebe, und dieses Ideal pflanzte sich in alle Schichten der Gesellschaft fort, und ist von dieser Zeit an eben das große Ideal der Menschheit: Seit Ehe nicht mehr durch ein System von sozialen und wirtschaftlichen Bindungen bestimmt ist, beruht sie auf der Vorstellung von individuellem Liebesglück, das ein Leben währen kann und soll.
Das ist die ganz große Verheißung der Kulturgeschichte, von der ich eingangs sprach, das ist der Menschheitstraum von der Liebe, die in die Ehe mündet, deshalb stirbt die Ehe nicht aus. Ich veranschauliche diesen Traum, der für den französischen Philosophen André Gorz wahr geworden ist, mit einem Zitat. Gorz hat ein Buch mit dem Titel ,,Brief an D.: Geschichte einer Liebe“ (2007) verfasst, es ist ein Liebesbrief an seine Frau Dorine, mit der er knapp 60 Jahre zusammen war, als er den Brief verfasste. Ich zitiere den Anfang des Briefs, bitte Taschentücher bereithalten:
„Bald wirst Du jetzt zweiundachtzig sein. Du bist nun sechs Zentimeter kleiner geworden, Du wiegst nur noch fünfundvierzig Kilo, und Du bist immer noch schön, graziös und begehrenswert. Seit achtundfünfzig Jahren leben wir nun zusammen und ich liebe Dich mehr denn je. Kürzlich habe ich mich wieder von neuem in Dich verliebt und wieder trage ich in meiner Brust diese zehrende Leere, die einzig die Wärme Deines Körpers an dem meinem auszufüllen vermag.“
Die Taschentücher dürfen wieder eingesteckt werden. André Gorz ist dieses sagenhafte Glück gewiss nicht in den Schoß gefallen. Zu solch einer Liebe, zu solch einer sagenhaften Ehe, gehören nicht nur mächtige Gefühle, sondern auch ein mächtiger Wille, die Gefühle fühlen zu wollen – in guten wie in schlechten Zeiten.