Trennung nach 40 Jahren – warum?

Genau das will ich nicht, ich will weder etwas unterdrücken noch etwas überwinden. Es geht mir nicht primär um die Schmetterlinge. Wenn es nur die wären, würde ich Louise nicht verlassen wollen. Nein, meine Gefühle sind tiefer, stabiler. Maria ist meine Seelenverwandte. Wir sind verliebt, ja, und wir lieben uns. Wir haben eine Stufe übersprungen. Wir lieben uns, weil wir Reibung haben, wir sind die zwei Seiten einer Medaille, wohlgemerkt: verschiedene Seiten, da liegt das Glück.

Wir hatten keine Liebe, es war Anpassung

Bei Seelenverwandtschaft möchte man meinen, dass die Liebe so ist wie bei Louise und mir, dass man gleich tickt. Wir waren aber nur in den äußeren Dingen des Lebens gleich, das heißt, ich habe mich Louise angeglichen. Sie wollte eines Tages kein Fleisch mehr essen, also habe ich es mir ebenfalls abgewöhnt. Sie ist nicht gern ins Theater gegangen, sondern lieber ins Kino, also bin ich auch lieber in Kino gegangen. Es gab darüber nicht einmal Streit, ich habe alles mit mir machen lassen. Es klingt schlimm, aber im Grunde genommen war ich ein Pantoffelheld. Das war keine Liebe, was wir hatten, jedenfalls nach den ersten Jahren nicht mehr, das war Angleichung und Unterdrückung um des lieben Friedens willen. Das klingt brutal, aber wenn man endlich wahre Liebe erlebt, dann weiß man erst, was keine Liebe ist.

Maria und ich, wir streiten, wir diskutieren oft die Nächte durch, wir sind in vielen Punkten verschieden, das ist inspirierend. Ich fühle mich endlich wieder lebendig! Und nach dem Streiten fallen wir uns in die Arme. Das ist für mich wirkliches Verstehen, dass man in der Beziehung seine Eigenheiten behält und mit diesen vom Partner bedingungslos angenommen wird. Ich habe das Gefühl, ich habe neu angefangen, zu leben, ich war wie tot die letzten Jahre.

Ich will genau das Leben, das ich jetzt mit Maria habe. Das heißt nicht, dass mir eine Trennung von Louise nicht schwerfällt. Das heißt auch nicht, dass ich völlig ohne Angst bin, einen kolossalen Fehler zu machen. Dafür sorgt schon mein Umfeld. Ich werde vor allem von meinen erwachsenen Kindern bombardiert, dass ich mir das alles reiflich überlegen soll, dass ich auf eine Katastrophe zusteuere, wenn ich Louise verlasse. Und dass ich sie mit hineinreiße in den Abgrund.“

Ist das Gefühl, dass die Liebe falsch war, das Ergebnis einer späten Midlife-Crisis?

Tatsächlich fühlt sich Louise, als sei ihr der Boden unter den Füßen weggezogen, als sei sie von ihrem siamesischen Zwilling abgetrennt. Gerade weil sie sich ganz sicher war, dass Joachim genauso glücklich ist wie sie, hat sie nie auch nur ansatzweise in Erwägung gezogen, dass etwas zwischen ihnen stehen könnte. Nachdem Joachim ihr gesagt hat, dass er Maria liebt, er hat daraus keinen Hehl gemacht und nicht gezögert oder gewartet, vier Wochen nach dem Klassentreffen rückte er damit raus, erlitt Louise eine Art Nervenzusammenbruch.


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