Ist denn vielleicht Treue gar keine Lösung? Sicher ist es am besten, wenn Paare ihre Fantasien gemeinsam ausleben. Was halten Sie von Absprachen?
Absprachen im Sinne von „Wir führen eine offene Beziehung“? Prinzipiell ist dagegen nichts einzuwenden, wenn beide damit einverstanden sind. In der Praxis erlebe ich allerdings, dass solche Absprachen meist nicht so gut funktionieren. Entweder, weil nicht bei beiden Partnern dasselbe Bedürfnis besteht. Oder aber es entsteht trotz Absprache Eifersucht, weil die Partner z.B. nicht konkret genug definiert haben, was „offen“ für den Einzelnen bedeutet. Ich kann nur wieder sagen: Die Standardlösung gibt es nicht. Treue ist und bleibt ein schwieriges Thema. Für Paare, die sich für Treue entscheiden, ist es wichtig zu wissen, dass Affären passieren können und nicht zwangsläufig das Ende der Beziehung bedeuten müssen.
Wie viel Wahrheit über eine Affäre tut gut? Was raten Sie?
Hier kann ich nur mit Shirley Glass sprechen: Es gibt einige wesentliche Fragen, die beantwortet werden müssen. Diese beziehen sich hauptsächlich auf die Beweggründe des untreuen Partners bzw. darauf, wie viel über die Partnerschaft in die Affäre hineingetragen wurde. Für den betrogenen Partner sind diese Fragen deshalb essentiell, weil er sich das Bild des untreuen Partners neu konstruieren muss. Der Schock, dass ein Mensch, dem man vertraute und den man sehr gut zu kennen glaubte, plötzlich einen als existenziell empfundenen Verrat begeht, ist für die betrogenen Partner am schwersten zu bewältigen.
Bei Fragen nach intimen Details rät Glass dazu, diese erst einmal zurückzustellen. Die Beantwortung dieser Fragen lässt Bilder im Kopf entstehen, die sich später, wenn das Paar wieder miteinander im Bett ist, ungewollt aufdrängen und die neugewonnene, noch sehr fragile Intimität gefährden. Sind die wesentlichen Fragen beantwortet, werden die Fragen nach den Details oftmals bedeutungslos. Falls doch noch Aufklärungsbedarf besteht, rät Glass dazu, dass jeder für sich prüft, wieviel Wahrheit ihm guttut. Das heißt, wenn ich merke, dass es mich erleichtert, mehr zu wissen, gut. Wenn es mir aber schlechter geht als zuvor, sollte ich mich im Sinne einer guten Selbstfürsorge dafür entscheiden, es dabei zu belassen.
Ich persönlich halte die Fragen nach expliziten Details und Praktiken gleich zu Beginn nach Aufdeckung der Affäre für den zentralen Faktor, weshalb so viele Partnerschaften an Untreue zerbrechen. Das daraus entstehende Kopfkino vergiftet die Atmosphäre und macht das für die Aufarbeitung nötige gegenseitige Wohlwollen nahezu unmöglich.