In jeder Beziehung gibt es Zeiten, in denen das Miteinander aus dem Gleichgewicht gerät. Gastautorin Vivian Dittmar erklärt, was jeder einzelne tun kann, damit eine Beziehung in Balance bleibt
Eine Beziehung ist in Balance, wenn beide Partner sich gleichermaßen um Nähe und Distanz in der Beziehung kümmern. Nähe herzustellen kann zum Beispiel bedeuten, auf den anderen zuzugehen, Kontakt aufzunehmen, Zuneigung auszudrücken, Bedürfnisse zu äußern und ähnliches. Alles, was für Verbindung, Kontakt, Intimität und Miteinander sorgt, fällt in diesen ersten Bereich. Distanz zu schaffen bedeutet vor allem, Kontakte, Verpflichtungen und Interessen außerhalb der Beziehung zu pflegen, Eigenständigkeit zu leben und vielleicht auch mal etwas zu tun, was dem Partner nicht so in den Kram passt. Alles, was für Raum, Unterscheidung, Individualisierung und Abgrenzung zwischen den Partnern sorgt, fällt in diesen zweiten Bereich.
Am Anfang einer Beziehung, wenn die Verliebtheit besonders stark ist, kümmern sich oft beide Partner um größtmögliche Nähe. Der Aspekt der Distanz wird komplett vernachlässigt. Freunde, Bekannte, Hobbys, manchmal sogar Kinder und Beruf müssen hinten anstehen, wenn Frischverliebte ihrer neuen Leidenschaft frönen. Das ist zunächst normal und gesund und eine wichtige Phase des Beziehungsaufbaus, und jeder bringt genug Eigenständigkeit und Anderssein mit, so dass dieser Aspekt zu Anfang keiner besonderen Aufmerksamkeit bedarf.
Ende der Flitterwochen
Nach einer Weile ändert sich das. Damit langfristig lebendiger Kontakt, intensive Begegnung und ein gesundes Miteinander gelebt werden können, muss auch der Distanzaspekt bedient werden. Der libanesisch-amerikanische Dichter Khalil Gibran besingt in “Der Prophet” diesen wichtigen Aspekt von Beziehung in seinem schönen Gedicht über die Ehe: “Und stehet beieinander, doch nicht zu nahe beieinander: Denn die Säulen des Tempels stehen einzeln, und Eichbaum und Zypresse wachsen nicht im gegenseitigen Schatten.”
Vielen Menschen ist dies nicht bewusst. Sie denken, die Beziehung zu pflegen, bedeute vor allem, sich um den Näheaspekt zu kümmern. Doch da es zwischen zwei Menschen auch Raum braucht, damit Begegnung überhaupt möglich ist, benötigen Beziehungen tatsächlich beides. In vielen Beziehungen passiert dieser Übergang ganz organisch: Nach einer heftigen Verliebtheitsphase beginnen beide, sich wieder auf den Rest ihres Lebens zu besinnen und nehmen erneut Kontakt mit vernachlässigten Freunden und Bekannten auf. Der Distanzaspekt in der Beziehung ist damit bedient, und die beiden leben glücklich bis an ihr Lebensende (oder so ähnlich …).