Sind wir Weizen, oder Spreu? Welche Auswirkungen die Coronakrise auf meine Beziehung hat

Ich wollte raus, etwas erleben, doch mein Herzblatt zog nicht mit

Nachdem wir, weil es alle taten, die Wohnung auf Vordermann brachten (ja, sogar die Fenster putzten, die schon seit Jahren ihr angeschmutztes Dasein fristen), Umbaupläne schmiedeten und uns in Baumarktschlangen stellten, wuchs in mir eine Unzufriedenheit. Mein in krisenfreien Zeiten durch regelmäßige Tanzabende befriedigter Bewegungsdrang machte mich nun wahnsinnig. Ich wollte raus in die Natur, etwas erleben, die frische Luft genießen, so lange ich es noch konnte. Wer weiß schon, ob wir nicht bald als Kontaktpersonen in Quarantäne stecken würden?

Was vor der Krise schon schwierig war, wurde nun zum Problem

Mein Herzblatt jedoch nutzte die gewonnene freie Zeit, um es sich auf der Couch gemütlich zu machen. Netflix, zocken…Hauptsache so richtig entspannen. Unser auch schon vor der Krise unterschiedlich ausgeprägter Bewegungsdrang wurde nun zum Problem. Zu Beginn des „Virus-Zeitalters“ versuchten wir noch, uns gegenseitig gerecht zu werden. Ich ertrug das ab und zu Zuhause lungern, während mein Freund ab und zu einen Spaziergang mit mir unternahm. Dass uns diese Herangehensweise auf Dauer nicht glücklich machte, merkten wir schnell.

Viele Bedürfnisse sind durch die aktuellen Regelungen nicht zu befriedigen

Was tun als Paar, wenn die unterschiedlichen Bedürfnisse einfach nicht unter einen Hut zu bringen sind? Vor allem zu einer Zeit, in der viele Bedürfnisse aufgrund der verhängten Regelungen gar nicht zu befriedigen sind? Durchs Möbelhaus schlendern und gemeinsam Pläne schmieden? Verboten. Romantisches Dinner in unserem Lieblingsrestaurant? Verboten. Ein gemeinsamer Kinobesuch? Verboten. Die Tanzfläche zum Beben bringen? Verboten. In lustiger Runde mit dem Freundeskreis lachen? Verboten. Ich gebe zu, gerade zu Beginn der Einschränkungen zweifelte ich daran, ob es auf Dauer möglich wäre, weiterhin eine stabile und glückliche Partnerschaft zu führen. Es dauerte eine Weile, bis wir es gemeinsam schafften, eine für uns im Moment praktikable Lösung zu finden.

Wo stehen wir und wo wollen wir hin?

Eine sehr positive Entwicklung in Krisenzeiten ist es aktuell, dass Kontakte zwar rarer, dafür aber intensiver werden. Seitdem Menschenansammlungen verboten sind, habe ich so viele intensive 1 zu 1 Gespräche mit engen Freunden geführt, dass trotz 1,5m Abstand eine vorher kaum denkbare Nähe entstanden ist. Stundenlange Spaziergänge, währenddessen tiefgründige Themen besprochen wurde, die sonst im Alltagstrott einfach unter den Teppich gekehrt werden. Leben wir so, wie wir es uns vorstellen? Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Eine so konkrete Auseinandersetzung mit unseren Beziehungen und uns selbst, das war neu. Und es war das, was mich durch die vergangenen Krisenwochen brachte.

Sind wir Spreu, oder sind wir Weizen?

Während mein Herzblatt die gewünschte Entspannung allein vor der Konsole oder beim Sortieren unseres Schrauben- und Kleinkramlagers fand, lief ich mit Herzensmenschen die komplette Stadt ab, entdeckte neue Lieblingsorte und intensivierte meine Freundschaften. Und am Abend hieß es: Beziehungs-Qualitytime.

Es scheint so, als hätten wir eine Lösung für uns gefunden, die uns auch die nächsten Woche durch eine Krise führen kann, deren Ende jetzt noch nicht absehbar ist. Wir werden auf diesem Weg Mitstreiter verlieren, das ist mir durch die vermehrten Trennungen im Freundeskreis klar geworden. Die Spreu wird sich vom Weizen trennen. Doch im Moment bin ich zuversichtlich, dass meine Beziehung zum widerstandsfähigen Weizen gehört, der sich zwar im Sturm windet, am Ende jedoch aufrecht die anschließende Windstille genießt.


Weitere interessante Beiträge