Muster der Partnerwahl
In Langzeitbeziehungen geschieht manchmal etwas sehr erstaunliches: Gerade das, was uns an unserem Partner anfangs ungeheuer fasziniert hat, finden wir nach einiger Zeit entsetzlich nervtötend. Ein klassisches Beispiel einer solchen Partnerwahl: Sie fand vor allem toll, wie fest er mit beiden Beinen auf dem Boden stand, wie er seine Karriere im Griff hatte und wie selbstbewusst-seriös er auftreten konnte. Nach zwei Jahren konnte sie das Wort Büro nicht mehr hören, die permanenten Überstunden ruinierten alle gemeinsamen Freizeitaktivitäten und ihren Traummann bekam sie kaum noch zu sehen.
Der Sozialpsychologe Manfred Hassebrauck spricht dann von einer „fatalen Attraktion“. Zuerst attraktiv, später nervig.
Ein Grund für eine solche fatale Attraktion kann sein, dass die Selbstdarstellung in der Kennenlernphase zu sehr geschönt war. Es ist völlig klar, dass wir zu Beginn einer Partnerschaft uns und unsere Fähigkeiten in einem möglichst positiven Licht präsentieren. Aber wie bei jedem Kauf kann ein Produkt nur im Dauertest beweisen, ob die Werbung recht hatte. Wenn schließlich die Tarnung fällt und beide Partner mit ihren Fehlern und Schwächen da stehen, sind Konflikte vorprogrammiert.
Wenn sich der Traumprinz nach Wegfall der Marketing-Versprechen zum Frosch zurück verwandelt, haben wir vielleicht auf die falschen Dinge bei der Partnerwahl geachtet. Oder wir haben uns selbst verstellt. (Bevor Sie sich jedoch Vorwürfe machen: Es ist natürlich möglich, dass sich der Partner ungünstig entwickelt hat)
Hassebrauck empfiehlt deshalb, so früh wie möglich auf die seiner Meinung nach vier wichtigsten Pfeiler einer Beziehung zu achten:
Intimität: Wobei hier nicht die sexuelle Intimität gemeint ist, sondern eine emotionale Bindung. Darunter fallen beispielsweise der Wunsch füreinander da zu sein, Vertrauen zum Partner zu haben, sich um ihn zu kümmern und sich für ihn zu interessieren (und das zu zeigen).
Übereinstimmung und Ähnlichkeit: Damit sind sowohl vergleichbare Lebensmotive und Wertvorstellungen gemeint, aber genauso ähnliche Interessen, die für eine lebhafte Kommunikation nötig sind. Die für andere Forscher so relevante Positivität und Konfliktkompetenz ist in der Regel eine Folge von einer stabilen Intimität und übereinstimmenden Lebensmotiven.
Unabhängigkeit: In jeder Beziehung braucht es neben dem gemeinsamen Erleben die Möglichkeit zum Rückzug, um individuelle Bedürfnisse befriedigen zu können. Selbst wenn gemeinsames Joggen Spaß macht, möchte man vielleicht ab und an alleine durch den Park laufen und den eigenen Gedanken nachhängen. Wenn es zwischen tatsächlichem und gewünschtem Freiraum starke Abweichungen gibt, entsteht schnell Unzufriedenheit.
Sex: Wenn es im Bett klappt, dann funktioniert die Beziehung, heißt es. Hassebrauck empfiehlt eine andere Sichtweise: „Es ist eher umgekehrt. Wenn es sonst gut läuft, dann ist auch der Sex gut“, sagt der Sozialpsychologe. Vor allem, wenn die anfängliche Leidenschaft etwas abkühlt, fragen sich manche Paare, ob mit ihrer Beziehung eigentlich noch alles in Ordnung sei. Dabei ist es absolut normal, dass es nach fünf Jahren nicht mehr so prickelt wie nach in den ersten drei Monaten. Um die Macht der Gewohnheit zu durchbrechen und die Lust aufeinander nicht einschlafen zu lassen, muss bewusst in die partnerschaftliche genauso wie in die erotische Beziehung investiert werden. Ohne Zeit und Aufmerksamkeit funktioniert das nicht. Offen sein für Neues mit dem Partner ist das bessere Rezept als den alten Partner gegen einen neuen zu tauschen, weil es da wieder prickelt: Nach kurzer Zeit wäre dort die Luft ebenso wieder raus, wenn sich die Partner nicht reichlich Mühe geben.
Toleranz scheint eine der wichtigsten Zutaten für ein gelungenes Eherezept zu sein. Professor Klaus A. Schneewind[1] und die Diplompsychologin Eva Wunderer[2] haben in dem Projekt „Was hält Ehen zusammen?“ hunderten Paaren die Frage gestellt:
„Vorausgesetzt, Sie sind verheiratet: Wie sieht das Erfolgsrezept ihrer Beziehung aus?“
Den anderen so zu akzeptieren wie er ist, ohne ihn ändern oder verbiegen zu wollen nach dem eigenen Wunschdenken, steht auf der Liste ganz oben. Ein Drittel aller Frauen und Männer nannten diese Form von Achtung und Verständnis gegenüber dem Partner als zentral für eine gute Ehe. Etwas weniger häufig aber immer noch als essenziell wurden Vertrauen und Offenheit genannt. Liebe wurde von 28 Prozent aller Befragten genannt und damit insgesamt am dritthäufigsten.
Dies mag wenig erscheinen, wo wir bei der Partnerwahl doch Liebe als Grundvoraussetzung ansehen. Im Dauertest einer Beziehung hat sie jedoch eine niedrigere Bedeutung als beim Kennenlernen.
Die Zutat Treue würden übrigens nur 13 Prozent der Befragten ins Eherezept hinzugeben. Eine mutige Einstellung, wo doch immerhin die Hälfte aller Ehen und 70 Prozent aller Beziehungen wegen Untreue auseinander gehen. Finanzielle Verpflichtungen und gemeinsamer Besitz nannten nur noch 7 Prozent, übereinstimmende Werte und Ansichten, also die gleiche Wellenlänge, nur noch 6 Prozent und mit 4 Prozent landete auf dem letzten Platz Zärtlichkeit und eine befriedigende sexuelle Beziehung.
Wir wünschen uns demnach also einen Partner, mit dem wir eine romantische Liebe erleben können, messen aber Liebe und vor allem Sex für das Gelingen einer Beziehung bei weitem nicht so viel Bedeutung bei.
[1] Klaus A. Schneewind: „Was hält Ehen zusammen?“, Universität München 2001
[2] Eva Wunderer: „Partnerschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit“., Beltz 2003