Nicht-Monogamie und Psychotherapie: Warum es oft so schwer ist, faire Beratung zu erhalten 

Psychotherapien können in fast allen Lebenssituationen eine sinnvolle Stütze sein. Sie können auch grundsätzlich zufriedenen Menschen dabei helfen, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten, mehr Gelassenheit zu erlernen und stabile Partnerschaften zu führen. Doch was, wenn die eigene Beziehung aus mehr als zwei Personen besteht? Obwohl offene Beziehungen und Polyamorie in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, ist sie in psychotherapeutischen Praxen oft noch ein Fremdwort. Oder gar ein Problem.  

Bei einer Psychotherapie darf man alles sagen, ohne verurteilt zu werden”, ist der Glaubenssatz, der allen gesagt wird, die Angst vor einer Therapie haben. Eine Therapie sei ein Schutzraum, ein Ort, der zur Abwechslung frei von Verurteilungen sei. Mit wohlwollenden Therapeut:innen, die nur das Beste wollen. “Therapeut:innen haben schon alles gehört, die kann nichts mehr schockieren”, heißt es, “die wissen, wie man mit solchen Themen umgeht.” Diese Sätze mögen für einige Menschen stimmen, doch nicht für alle. Zum Beispiel für Menschen in offenen und polyamoren Beziehungen.  

In der deutschlandweiten Polyamorie-Community sind die Themen Psychotherapie und Paarberatung ein viel besprochenes Problem. Es gibt kaum Therapeut:innen, die auf einen fairen und differenzierten Umgang mit diesen Themen eingestellt sind. Manche Therapeut:innen kennen die Wörter nicht, kennen die Konzepte nicht. Sie wissen nicht, dass Nicht-Monogamie durchaus funktionieren kann. Besonders bei den älteren Fachpersonen verbringen Patient:innen viel Zeit damit, Grundlegendes zu erklären, sich zu rechtfertigen und Vorurteile zu bekämpfen. So bleibt kaum mehr Zeit und Kraft übrig, sich auf die individuelle Geschichte der jeweiligen Patient:innen zu konzentrieren.

Es gibt aber auch positive Berichte

Besonders jüngere und queerfreundliche Therapeut:innen wissen, was Polyamorie und offene Beziehungen sind. Diese können einigermaßen sicher mit den zentralen Begriffen umgehen und haben dem Thema gegenüber eine neugierige und offene Haltung. Ob dies an den veränderten Lehrplänen in Psychologie-Hörsälen, dem Internet oder gesellschaftlicher Entwicklung liegt, wissen nur die Fachpersonen selbst.  

In der konservativen Psychotherapie, auch der Fachliteratur, wird vor allem zwischen zwei Arten von Partnerschaften unterschieden: Stabilen Beziehungen und instabilen Beziehungen. Eine stabile Beziehung besteht in der Regel aus zwei Personen, die einander treu sind und sich auch sonst im Normbereich der paarpsychologischen Verhaltensweisen bewegen. Polyamore und offene Beziehungen erfüllen diese Merkmale nicht und gelten automatisch als instabil und pathologisch. Während monogame Beziehungsformen eine gesunde Differenzierung der partnerschaftlichen Regeln und der allgemeinen Vernunft darstellen, gibt es für offene und polyamore Beziehungen stets eine Ursache, einen Auslöser, einen sinnbildlichen Krankheitserreger in der eigenen Biografie.

Mangelnde Datenlage nicht-monogamer Beziehungen

Nur selten werden Monogamie und Nicht-Monogamie als vernunftbasierte und gleichgestellte Beziehungsmodelle betrachtet. Das langfristige Ende der Nicht-Monogamie und die Annäherung zur stabilen Monogamie gelten als Therapieerfolg. Ein weiterer Grund für diesen Umstand ist das Fehlen von empirischen und repräsentativen Studien. Da das Thema noch recht jung ist, können Psycholog:innen kaum auf Daten zugreifen, die soziologische Aussagen über den Erfolg und Misserfolg von Nicht-Monogamie liefern. Niemand weiß, wie viele Menschen tatsächlich nicht-monogam leben. Oder wie viele Beziehungen nach wenigen Monaten scheitern und warum sie überhaupt eingegangen werden. Dies wird sich mit zunehmendem Interesse der Sozialwissenschaft zukünftig ändern.  

Die mangelnde Datenlage, die fehlende Sprache und die Stigmatisierungen haben zur Folge, dass Menschen in nicht-monogamen Beziehungsformen gar nicht erst zur Therapie gehen oder dort nicht frei über ihre Probleme und Sorgen sprechen. Denn natürlich gibt es auch innerhalb von nicht-monogamen und polyamoren Beziehungen klassische Krisen: Zweifel, Unsicherheit, Angst, sogar Untreue und Vertrauensbrüche.


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