Stress verengt die Wahrnehmung und verändert den Blick auf die Welt – und damit auch auf den Partner, weiß Prof. Dr. Guy Bodenmann. Wir haben ihn zum Interview getroffen
Sehr geehrter Herr Bodenmann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, meine Fragen zu beantworten. Resilienz ist ein relativ junges Schlagwort. Was verstehen Sie unter Resilienz in der Partnerschaft?
Resilienz meint die Widerstandsfähigkeit eines Individuums oder Systems, selbst in belastenden Situationen gesund zu bleiben und Widrigkeiten zu trotzen, ohne Schaden zu nehmen. Im Rahmen der Partnerschaft beschreibt der Begriff die Fähigkeit des Paares, trotz der vielfältigen hohen Anforderungen, die an die Partnerschaft gestellt werden, längerfristig eine hohe Beziehungsqualität und -stabilität zu bewahren.
In der Paarberatung fällt häufig der Satz: „So habe ich mir das nicht vorgestellt“. Welchen Einfluss haben fehlende oder unrealistische Beziehungsvorbilder auf die Dynamik eines Paares?
Häufig sind es nicht fehlende Beziehungsvorbilder, da im Elternhaus, in Medien und im Freundes- und Bekanntenkreis ausreichend Modelle beobachtet werden können, sondern Vorbilder, von denen man sich bewusst abgrenzen möchte (z.B. den eigenen Eltern, wenn deren Partnerschaft unbefriedigend verlief) oder die man überhöht, wie im Falle der romantisierten Darstellung von Paarbeziehungen in Filmen oder Artikeln der Boulevardpresse. Starten Paare mit idealisierten Vorstellungen in ihre Beziehung, sind unweigerlich Enttäuschung, Frustration und Ernüchterung die Folge und der Lebensentwurf, welcher auf falschen Annahmen basierte, gerät ins Wanken. Wenn zwei Menschen mit unterschiedlichen biographischen Erfahrungen, Bedürfnissen, Wünschen und Zielen zusammentreffen, schafft dies immer Reibungsfläche und Spannungen, welche mit romantischen Gefühlen konfligieren.
Kleine und große Veränderungen wirken von innen und außen auf Beziehungen ein. Wie können sich Paare darauf vorbereiten?
In der Stressforschung unterscheidet man verschiedene Typen von Stressoren. Während tägliche Widrigkeiten und kritische Lebensereignisse nicht vorhersehbar sind und man sich daher auch nicht darauf einstellen kann, gibt es gewisse Belastungsereignisse welche biographisch antizipiert werden können (z.B. Auszug der Kinder, Pensionierung). Doch wie Studien und die klinische Erfahrung zeigen, gehen selbst Veränderungen, auf welche man sich hätte einstellen können, meist nicht spurlos an Paaren vorbei und erfordern Adaptionsleistungen. Wichtiger als die Art der Belastung ist der Umgang des Paares mit dem Stress.
Miteinander, nicht gegeneinander. Warum vergessen Paare immer wieder, dass sie gemeinsam mehr erreichen können?
Wenn sie frisch verliebt sind, arbeiten die Partner meist stark miteinander, sind großzügig, stellen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an und bemühen sich besorgt und liebevoll um das Wohlergehen des anderen. Mit der Zeit ändert sich diese Haltung und die eigene Bedürfnisbefriedigung rückt in den Vordergrund, man fordert diese vom Partner ein und versucht den anderen mit verschiedenen Mitteln dazu zu zwingen, das Verhalten zu zeigen, welches man sich wünscht. Im unseligen Machtkampf, in welchen sich beide Partner verstricken, kommt das Gegeneinander zum Ausdruck. Es ist traurig, dass Menschen, welche sich vormals liebten, mit zunehmender Dauer der Partnerschaft immer stärker auf ihre selbstbezogene Bedürfnisbefriedigung pochen und dadurch den Partner vom Verbündeten und Vertrauten zum Gegner machen.
Paar-Yoga, Wellness-Wochenende – Welche Stress-Killer können Sie Paaren empfehlen?
Man kann individuelle und partnerschaftliche Stresskiller unterscheiden, d.h. Dinge oder Aktivitäten, welche einem selber gut tun, um herunterzufahren oder solche, welche man gemeinsam unternimmt, um Erholung, Abstand vom Alltag oder Muße zu finden. Beide sind wichtig und sollten im Alltag eingeplant werden, um Stressinseln zu schaffen.
Unsere Großeltern hatten andere Probleme. Banaler Alltags-Stress vs. existenzielle Nöte. Warum belasten heutige Luxusprobleme unsere Beziehungen so stark?
Bei gravierenden Belastungen zeigt in der Regel das nahe Umfeld Verständnis und die Unterstützung seitens anderer ist wahrscheinlich, da diese nachvollziehen können, dass man belastet ist und es schwer hat. Bei täglichen Widrigkeiten fehlt dieses Verständnis und man erwartet, dass der andere mit diesem banalen Alltagsstress selber umzugehen in der Lage ist und einen nicht mit diesen Kleinigkeiten behelligt. Alltagsstress ist daher aus drei Gründen besonders schädlich für die Partnerschaft. Erstens ist er sehr häufig, zweitens wirkt er auf den ersten Blick banal (was er in vielen Fällen nicht ist, wenn er einen persönlichen wunden Punkt des Partners trifft) und drittens fehlt bei dieser Form von Stress die Empathie und Unterstützung durch den Partner, oder diese ist oberflächlich und ineffizient.
Scheidung ist zunehmend ein Generationsproblem, schreiben Sie. Wie entwickelt sich die Bindungshaltung bei Scheidungskindern im Vergleich zu Kindern aus dem klassischen Familienmodell mit Trauschein?
Kinder aus Scheidungsfamilien zeigen deutlich weniger positive Einstellungen zu Partnerschaft und Ehe und ungünstigere Erwartungen bezüglich der Stabilität ihrer eigenen Partnerschaft. Sie weisen daher, wenig überraschend, ein signifikant höheres eigenes Scheidungsrisiko auf. Studien belegen längerfristige Auswirkungen einer Scheidung für das eigene Wohlbefinden und die eigene spätere Partnerschaft. Je nach Phase, in welcher das Kind die Scheidung der Eltern erfährt, kann dies auch Auswirkungen auf seine Bindung haben. Tritt die Scheidung jedoch nicht in der Frühkindheit auf, sind Bindungsstörungen weniger wahrscheinlich.
Das verheiratete Paar mit zwei Kindern ist ein Auslaufmodell. In Berlin wachsen nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes nur zwischen 15 und 20% der Kinder so noch auf. Was lässt sich tun, damit die übrigen 80 bis 85% nicht zur Generation bindungsunfähig werden?
Zwar zeigen Untersuchungen, dass die Zwei-Eltern-Familie für Kinder die günstigste Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung schafft, doch insgesamt kommt es weniger auf die Familienform an, als darauf, wie die Eltern mit dem Kind im Alltag umgehen und welche Zuwendung und Liebe bei gleichzeitiger Struktur und klaren Grenzen sie diesen geben. Die Frage, ob Eltern ihren Kindern einen günstigen Entwicklungskontext bieten können, hängt stark mit ihrer Partnerschaftsqualität zusammen. Wenn die Eltern miteinander glücklich sind oder nach einer Scheidung Ruhe in die Beziehung einkehrt, geht diese nicht nur mit einer höheren Lebenszufriedenheit und einem besseren Befinden einher, sonder schafft dies auch eine wichtige Voraussetzung, gute Eltern sein zu können. Es lohnt sich daher, in die Partnerschaft zu investieren und sich für die Beziehungsqualität einzusetzen.
Guy Bodenmann
Bevor der Stress uns scheidet – Resilienz in der Partnerschaft
erhältlich im Hogrefe Verlag, Bern
2. Auflage, 272 Seiten
€ 24,95