ADHS wächst sich nicht raus – etwa 60% aller Kinder mit ADHS-Symptomen weisen im Erwachsenenalter noch individuelle Auffälligkeiten auf, die eine Partnerschaft strapazieren können, weiß Gastautorin und Expertin Corinna Wietelmann
ADHS-Auffälligkeiten im Erwachsenenalter sind sehr individuell ausgeprägt und können sich auf unterschiedliche Bereiche erstrecken, doch allen gemein ist, dass sie die Beziehung erschweren können. Vielen Erwachsenen ist aber leider nicht bewusst, dass sie eine Aufmerksamkeits – Defizit – Hyperaktivitätsstörung aufweisen und sie nehmen ihre Auffälligkeiten, die sich wie ein roter Faden durch den Lebenslauf ziehen, einfach als gegeben hin. Sie sind der Ansicht, es handele sich hierbei um Charaktereigenschaften, die man nicht ändern kann und ihre Mitmenschen, in diesem Fall die Partner, schlicht übertreiben.
Das Zusammenleben mit einem ADHS´ler ist oft alles andere als ein Zuckerschlecken. Die wenigsten Partner übertreiben in den Schilderungen der täglichen Herausforderungen. Die Größte liegt wohl darin, dem betroffenen Partner verständlich zu machen, dass er eben nicht „normal“ reagiert und man unter seinem Verhalten durchaus leidet. ADHS-Auffälligkeiten sind zwar individuell, dennoch gibt es einige Grundbausteine, die viele betroffene Erwachsene aufweisen.
- Nicht zuhören können
- Vergesslichkeit
- Impulsivität
- Eifersucht (bis hin zur krankhaften Eifersucht)
- Den Partner kontrollieren und besitzen wollen
- Reizbarkeit (von 0 auf 100 in 0,2 Sekunden)
- Unordnung
- Versprechen werden nicht eingehalten
Die Liste ist nicht komplett und die Ausprägungen können auch in unterschiedlicher Intensität vorhanden sein, dennoch kann eine ADHS in einer Partnerschaft zur “explosiven Mischung” werden. Menschen mit ADHS fehlt oftmals der sogenannte Perspektivenwechsel. Die Fähigkeit zu verstehen, dass andere Menschen andere Gefühle, Wünsche und Ansichten haben ist in diesem Fall eingeschränkt bis nicht vorhanden. Somit reagieren die betreffenden Partner sehr ungehalten, wenn ihre Wünsche nicht erfüllt werden oder der Partner andere Ansichten vertritt. In diesen Situationen kommt dann die oft eingeschränkte Impulskontrolle hinzu. Das heißt, die ADHS-Betroffenen können sprichwörtlich ausrasten, toben oder sich wie Kleinkinder verhalten. Aber sie können in diesen Momenten auch beleidigend und „gemein“ werden und versuchen, ihren Partner durch ein „schlechtes Gewissen“ zu überreden, ihre Wünsche zu erfüllen.
In diesen Momenten fangen viele ADHS´ler an zu diskutieren, und diese Diskussionen verliert der Partner, wenn er nicht frühzeitig aussteigt. ADHS´ler haben die Fähigkeit, einem mit diesen Diskussionen alles zu verkaufen. Dachte man noch, die Farbe ist weiß, schaffen es die Betroffenen, diese Farbe als rot zu verkaufen – im Diskutieren sind sie einmalige Spitze, was unter anderen Umständen allerdings auch eine absolute Stärke darstellt.
Eine Partnerschaft mit einem ADHS-Betroffenen ist nicht einfach, aber keinesfalls unmöglich. Hier einige ausgewählte Tipps:
- Vermeiden sie Formulierungen wie „du musst“ und “du sollst“. Das erzeugt sofort Druck und die Diskussion ist eröffnet.
- Vermitteln Sie immer wieder Ihre Wünsche und Gefühle. Durch die oftmals mangelnde Perspektivenübernahme sind die Wünsche, Ansichten und Gefühle anderer häufig nicht präsent.
- Lassen Sie sich auf keine Diskussionen ein. ADHS‘ler diskutieren für ihr Leben gern und gewinnen immer, wenn man die Situation nicht rechtzeitig verlässt. Sagen Sie, bevor die Lage eskaliert: „Ich habe meine Meinung und du deine und nun lassen wir das erst einmal so stehen, bis wir uns wieder beruhigt haben.“
- Arbeiten Sie an IHREM Selbstvertrauen und Ihrer Standfestigkeit. Die Gefühlsausbrüche der Betroffenen, die durchaus auch unter die Gürtellinie gehen können, strapazieren das eigene Selbstvertrauen. Es ist unerlässlich, dass Sie für sich ACHTSAM sind und Ihr Selbstvertrauen stärken.
- Besuchen Sie zusammen ein ADHS-Coaching.
- Versuchen Sie das Verhalten Ihres Partners mit SEINEN Augen zu sehen, aber entschuldigen Sie nicht alles.
- Lernen Sie, sich abzugrenzen und „nein“ zu sagen. ADHS`ler können ein sehr einnehmendes Wesen haben, das teilweise bis zur krankhaften Eifersucht führt. Grenzen Sie sich ab und machen Sie Ihrem Partner in einer ruhigen, entspannten Minute klar, dass er Ihnen mit diesem Verhalten weh tut.
- Arbeiten Sie mit Listen. Erstellen Sie mit Ihrem ADHS- Partner zusammen „To-do- Listen“, an denen sich Ihr Partner orientieren kann. Dies betrifft z.B. den Haushalt, den Müll, die Einkäufe. Erarbeiten Sie zusammen die Dinge, die Ihnen wichtig sind. Diese Listen haben sich als große Hilfestellung für Menschen mit ADHS erwiesen.
- Legen Sie feste Plätze für bestimmte Gegenstände fest und markieren Sie diese. Betroffene suchen ständig Schlüssel, Geld und Handy.
- Gehört Ihr ADHS-Partner zu den impulsiven Typen, erarbeiten Sie in einer ruhigen Minute zusammen wichtige Beziehungsregeln. „Ich möchte nicht beleidigt werden“, „ich möchte, dass du meine Ansichten respektierst“, „ich möchte nicht dein Blitzableiter sein“. Einmal schriftlich verfasst, kann sich auch ein ADHS´ler besser daran erinnern und es erhöht die Chancen auf mehr Harmonie in der Beziehung.
- Machen Sie eine Stärkenliste von Ihrem Partner. Konzentrieren Sie sich besonders auf die Stärken und positiven Eigenschaften und notieren Sie sich diese. In schwierigen Phasen können Ihnen diese Notizen helfen, sich auf die Stärken zu konzentrieren.
Die Möglichkeiten der Deeskalation sind ebenso individuell wie die ADHS-Auffälligkeiten selber. Partner von ADHS-Betroffenen sollten aufpassen, sich selber nicht zu verlieren und an ihren Wünschen und Ansichten festhalten. Sollten Deeskalations- und Entspannungstechniken nicht mehr ausreichen und das Leben aufgrund der Stimmungsschwankungen oder der Eifersucht des Partners sehr belastet sein, hilft ein Paartherapeut der auf ADHS spezialisiert ist, ein Therapeut oder auch ein Coach. Vorteilhaft hierbei ist es, dass diese Hilfestellungen „von außen“ kommen und nicht emotional vorbelastet sind.