Ich habe dennoch eine positive Entwicklung wahrgenommen. Die neu gewonnene Nähe bewirkt, dass wir die Streits deutlich zügiger beilegen. Du kannst nun die Hülle deines Handys nicht mehr einfach zuklappen, damit du das nervige Blinken nicht siehst. Ich hingegen kann mir nicht überlegen, ob ich dir noch antworten möchte oder nicht. Wir sind nun quasi „gezwungen“, unsere Konflikte zu lösen, denn wir können uns dem anderen und der schwierigen Situation nicht mehr so einfach entziehen. Das Gute ist, dass wir in deiner Wohnung zwei getrennte Arbeitszimmer haben und uns somit auch mal aus dem Weg gehen können. Das ist die Zeit, in der wir beide über das Gesagte nachdenken und uns beruhigen. Nach dieser Zeit des Abstands gibt einer von uns nach – okay, meistens bist du der Klügere – und wir können in einem ruhigeren Ton und sachlicher über den Streitpunkt reden. Manchmal, wenn einer von uns trotzdem noch etwas Undiplomatisches sagt, spulen wir die Situation in Gedanken zurück und formulieren das Gesagte um. Ich habe das Gefühl, dass wir beide dadurch langsam dazulernen. Vielleicht nicht, wie man richtig streitet, aber wie man einen Streit hinterher wirkungsvoller beilegt.
Unsere Beziehung hat sich, abgesehen von den gelegentlichen Auseinandersetzungen, positiv verändert. Wir sind uns auf emotionaler Ebene noch näher als zuvor. Unsere Gespräche sind deutlich tiefgründiger und länger geworden als vorher. Jetzt fragst du nicht mehr einfach, wie die Arbeit war. Du fragst genauer nach. „Woran hast du gearbeitet?“, „Wie waren deine Termine?“, „Was beschäftigt dich gerade?“. Außerdem ist mir aufgefallen, dass wir uns verhältnismäßig mehr küssen, öfter in den Arm nehmen und natürlich können wir jetzt jeden Abend unsere Serie schauen, etwas kochen und kuscheln. Ich genieße diese gemeinsame Zeit so sehr. Das Kuscheln macht mich immer wieder aufs Neue glücklich, auch, wenn ich nach zwei Minuten bereits selig schlummere.
Mitte Dezember, als unser „Wohnexperiment“ begann, hatten wir uns eigentlich vorgenommen, es bis Neujahr auszutesten, was daran lag, dass ich ab Januar wieder arbeiten und dann doppelt so weit hätte fahren müssen. An Neujahr haben wir uns dann darauf geeinigt, es noch zwei Wochen mit den alltäglichen Umständen der weiten Fahrt und des Arbeitens auszuprobieren. Tja, nun ist auch diese „Frist“ schon lange vorbei und bisher hat sich keiner von uns weiter dazu geäußert. Unser „Experiment“ ist ein Selbstläufer geworden. Für mich ist dies ein klares Zeichen, dass das Zusammenleben mit allen dazugehörigen negativen sowie positiven Aspekten funktioniert.
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich wieder gedanklich unsere spätere Wohnung einrichte. Wer weiß, vielleicht ist es sogar noch dieses Jahr soweit, dass wir endlich zusammenziehen, wenn du deinen Masterabschluss in der Tasche hast. Und jedes Mal lächle ich leicht vorfreudig und stelle fest: Egal was passiert, mein Zuhause bist und bleibst Du.
Ich liebe Dich.