Verharrt ein Partner zu sehr auf seiner Perspektive, ohne die Partner- oder Partnerschaftsperspektive mitzudenken, geraten Paare meist in sogenannte Gerechtigkeitsfallen. Dann dreht sich ein Konflikt nicht mehr um das ursprüngliche Thema, sondern nur noch darum wer Recht hat und wer wen wie überzeugen kann. Damit kommt man vielleicht in einer Talkshow oder bei der Arbeit durch, in einer Partnerschaft geht es aber selten um eine objektive Wahrheit, sondern immer um zwei subjektive Wahrheiten, die nicht verhandelbar sind. Und entsprechend behaupte ich ganz keck: In einer Partnerschaft kann es eigentlich gar keinen Streit geben, weil es in einer Liebesbeziehung immer nur darum gehen muss, einander unseren Standpunkt zu erläutern. Wir müssen einander verständlich machen, nicht einander überzeugen. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied. Und dann, wenn wir uns einander verständlich gemacht haben, wenn wir uns einander in unserer Wahrhaftigkeit gezeigt haben, entscheiden wir, wie wir damit umgehen. Da ist dann durchaus Platz für Enttäuschung und Frust, aber nicht für Streit und Konflikt. Entsprechend motiviere ich Paare natürlich, um auf den Dreisprung Ihrer Frage zurückzukommen, ihre Hoffnungen und Erwartungen zu formulieren, um einander die Chance – nicht die Pflicht – der Erfüllung zu geben. Beim Verlangen im Sinne von Bedingungen bleibe ich aber strikt: Das gehört nicht in eine Liebesbeziehung und ist Ausdruck von Egoismus und Erpressung.
In Ihrem Buch „Liebe heißt wollen“ beschreiben Sie die Wirkung der „Liebeshormone“, die Menschen euphorisieren und auch „blind vor Liebe“ machen. Welche Entscheidung trifft der Liebende? Oder trifft die Biochemie die Entscheidung?
Die Evolution war klug genug, alles der Biochemie zu überlassen. Die klassischen Untersuchungen hierzu zeigen, dass innerhalb weniger Sekunden zwischen zwei Menschen klar ist, ob man einander attraktiv findet. Allerdings wusste die Evolution nichts von Sprache, Mode, Witz, Intelligenz, Karriereplänen oder Musikgeschmack, so dass eine halbe Stunde später, der Reiz auch schon wieder verflogen sein kann. Falls nicht, ist das aber wieder Verliebtsein und nicht Liebe. Und beim Verlieben bleiben wir auf dem biochemischen Autopiloten. Dieses Wissen gibt uns aber die Freiheit unserem eigenen Verliebtsein nicht immer trauen zu müssen. Das zu begreifen ist lebensklug und kann sehr heilsam sein. Ich kann mich sehr leidenschaftlich und offen in einen Menschen verlieben und trotzdem wissen, dass dieser Mensch nicht meinen Bedürfnissen für eine gemeinsame Liebe entspricht, um dadurch eventuell auch leichter Abschied zu nehmen, wenn aus der Verliebtheit keine Liebe wird. Und erlauben Sie mir auch hier einen Spruch aus dem Poesiealbum der Lebensweisheiten: Verwechseln Sie die Größe Ihrer Verliebtheit nicht mit dem Potential für die gemeinsame Liebe.
Was halten Sie von dem Rat von Professor John Gottman: Heiraten Sie Ihren besten Freund?
Davon halte ich sehr viel. Besser noch, sie haben sich vorher ganz wahnsinnig ineinander verliebt und dann festgestellt, dass sie auch beste Freunde füreinander sind. Allerdings müssen wir uns hier das Verständnis von Freundschaft genauer anschauen: John Gottman nutzt in seinen „Sieben Geheimnissen der glücklichen Ehe“ einen sehr spezifischen Freundschaftsbegriff mit dem ich auch arbeite. Freundschaft bedeutet in dieser Verwendung nicht, dass wir uns “nur” gut verstehen, den gleichen Humor haben oder die gleichen Interessen. Freundschaft bedeutet, dass wir füreinander da sind, dass wir loyal, emphatisch einander unterstützen, uns Aufmerksamkeit und Unterstützung schenken – und nicht gegenseitig verrechnen. Das ist ein sehr tiefer Freundschaftsbegriff. Und mit dem überrasche ich immer wieder Paare in der Beratung, weil die meisten diese Dimension von Miteinander und Füreinander gar nicht mehr in ihrem Aktivwissen haben und glauben in einer Beziehung ginge es nur um die Zweidimensionalität von erstens Vergnügen und zweitens fairer Verteilung der Aufgaben und Pflichten. Damit verpassen die meisten Paare aber das Wesentliche, die Dritte Dimension, den Megakick der Liebe: Füreinander da sein, einander Zeit, Aufmerksamkeit, Freiheit schenken, den Anderen darin zu unterstützen, der zu werden, der er sein will ohne etwas im Gegenzug dafür zurück zu erwarten. Warum sollte ich das tun? Aus Liebe.