Intelligenz macht an: Anziehung trotz Unterschieden

Unterschiede ziehen einander an – so lange es ausreichend Gemeinsamkeiten gibt, die für eine stabile Basis sorgen. Unsere Autorin beschreibt ein Paar, dessen außergewöhnliche sexuelle Energie aus einer unterschätzten gemeinsamen Leidenschaft stammt: der Philosophie. 

Wohlgemerkt, nicht dieses Gequatsche über den Sinn des Lebens, wie viele Frauen es schätzen. Nein, ich meine knallharte Philosophie, keine seichte Kost, das ist Arbeit, das ist wie Mathe, wie Schach. Ich war echt erstaunt, dass ich nun eben gerade mit einer Frau im Bett gewesen bin, die mein siamesischer Zwilling hätte sein können. Zwei Menschen in einer großen Stadt, die beide die Philosophie ins Zentrum ihres Daseins stellen. Wir hätten uns längst über den Weg laufen müssen. Und nun hatten wir uns im schnöden Internet gefunden. Sofort fingen wir an, uns über das Hegel-Buch zu unterhalten. Es ist wirklich eines der kompliziertesten Bücher, extrem schwer zu lesen und zu verstehen, aber Gitty wollte es wissen. Sie biss sich durch, sie eroberte sich seit Wochen jede Seite. Ich hatte die Lektüre aufgegeben, ich war daran verzweifelt. Ich bewunderte Gitty, dass sie das Buch nicht längst aus dem Fenster geworfen hat. Sie klappte das Buch auf, wir lasen einen Passus und diskutierten darüber. Danach war ich sofort wieder scharf auf Gitty, wir hatten wieder Sex, und er war unglaublich.“ 

Michael blieb in dieser Nacht nicht bei Gitty

Es saß ihm zwar in den Knochen, wie sehr ihm der gute Sex und die Gespräche unter die Haut gegangen waren, gerade deshalb wollte er allein sein. Er dachte daran, dass es das Letzte war, was er in dieser Phase seines Lebens wollte – sich verlieben. Merkwürdigerweise fühlte es sich nicht wie Verliebtheit an. Keine flatternden Schmetterlinge, keine Unruhe, es war anders, es war ruhiger, sehr ruhig. Vertraut, tief, warm. Es war die reine Freude. 

„Im Nachhinein glaube ich, dass es sich gleich wie Liebe angefühlt hat“, sagt Michael. „Wir haben einfach eine Stufe übersprungen. Das war mir am nächsten Morgen natürlich noch nicht klar. Ich war irritiert, dass ich Gitty nicht aus dem Kopf bekam. Ich hatte totale Lust, mich bei ihr zu melden, ich habe es nicht getan, ich habe es mir regelrecht verboten.“ 

Gitty ist auf der einen Seite erleichtert, dass Michael ihr nicht am nächsten Tag die Bude einrennt, denn sie will ja auch keine feste Beziehung. Auf der anderen Seite wartet sie sehnsüchtig auf eine Nachricht von Michael.  

Der Sex wäre ohne Hegel nicht gewesen, was er war

Sie erinnert sich: „Ich starrte immer wieder auf mein Handy, in mir liefen die gleichen Mechanismen ab wie bei Michael. Ich wollte mich zwingen, vor mir selbst so zu tun, als hätte ich sehr guten Sex gehabt mit einem klugen Mann, der Hegel kennt und Punkt. Aus die Maus, Ende. Bestimmt trifft man sich noch mal, aber unverbindlich, eine Affäre, nicht exklusiv. Eine unüberhörbare Stimme in mir sagte, dass ich mich täusche, dass es nicht nur sehr guter Sex war, sondern Life changing Sex. Ein Zusammensein, das einen Wendepunkt im Leben darstellt. Und dieser Wendepunkt hatte etwas mit der Philosophie zu tun, ja auch damit, dass Michael echt ein fantastischer Liebhaber ist, doch ohne Hegel wäre der Sex für mich nie gewesen, was er und wie er war. Das klingt womöglich für die meisten Menschen völlig verrückt, doch so ist es.“ 

Michael und Gitty halten die Abstinenz nur drei Tage durch, dann ruft Michael an und fragt nach einem Date. Gitty sagt sofort „Ja“. Die beiden treffen sich am selben Abend. Der Sex ist wieder eine Wucht, danach philosophische Dialoge. Es dauert noch ein paar Wochen, bis die beiden begreifen, wie ihnen geschieht, dass sie jeweils im Gegenüber tatsächlich und unwiderruflich ihre vollkommene Ergänzung gefunden haben. Dass sie das erleben, was man die ganz große Liebe nennt. 

Das ist jetzt 13 Jahre her, und es hat sich nichts an diesem Gefühl geändert. Keine Routine, kein Alltag, kein Stress konnte etwas daran ändern, dass sich dieses erstaunliche Paar jeden Morgen freut, wenn es zusammen erwacht, und es gibt nicht viele Nächte, wo es keinen guten Sex hat – und noch weniger Tage, wo es nicht über Philosophie spricht. 


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