Das Ich behalten und ein Wir aufbauen

Zur Zeit ist es auffällig, dass es zwei Extreme bei Männern gibt, die sich in meinem direkten Umfeld aufhalten (bei Frauen sicher auch): Entweder geben sie sich völlig für dich auf, passen sich komplett an und reden schon nach kürzester Zeit von der Liebe ihres Lebens oder sie machen so weiter wie bisher, sind nicht bereit Verantwortung zu übernehmen, wollen trotz Beziehung frei sein, wollen machen können, was sie mögen und nehmen sich das vom Partner, was gerade zu ihren Bedürfnissen passt.

Sowohl das eine, als auch das andere Extrem ist eine Katastrophe! Wer will schon einen Mann, der sich aufgibt, kein eigenes Leben mehr führt und keine eigene Meinung vertritt, alles tut und macht? Das ist mir auf Dauer wirklich zu langweilig und ich verliere zunehmend den Respekt vor diesem Menschen. Aber das Gegenstück dazu ist ebenso furchtbar anstrengend, verletzend und führt bei mir zu Unsicherheiten, Misstrauen und Ängsten.

Wo bitte ist die goldene Mitte geblieben? Jemand, mit dem ich mich gemeinsam auf den Weg mache, der seine Meinung vertreten kann, der Kompromisse macht, der sich Streiten und Vertragen kann, der mir ab und zu zeigt, was ich ihm bedeute und sich trotz Beziehung nicht selbst aus den Augen verliert? Jemand, mit dem ich mich sicher fühlen kann, auch wenn es mal schlechte Tage gibt. Der an mir die Stärken und Schwächen schätzt, bei dem ich mich nicht verstellen muss und der hinter mir steht?

Nach verschiedenen Beziehungen und Erfahrungen hat jeder natürlich sein Päckchen zu tragen. Es ist schwer, alle Gewohnheiten und Verhaltensmuster abzulegen, die man in der Vergangenheit aufgebaut hat (ob gewollt oder nicht). Aber man kann sich darüber bewusst werden, dass dies mitgeschleppt wird. Wenn man sich selbst reflektieren kann, kann man versuchen, sich in den anderen hineinzuversetzen, das Gespräch aufzunehmen und sich somit weiterzuentwickeln. Dieses Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass man sich manchmal aus bestimmten Gründen und Erfahrungen so verhält, dass das in der jetzigen, neuen Situation vielleicht gar nicht angebracht ist. Dass es mit dem Menschen, der jetzt da ist, gar nichts zu tun hat, sondern dass man seine Ängste durch Vorerfahrungen projiziert. Hier spreche ich aus eigener Erfahrung. Ich bin sehr beeinflusst von Vorerfahrungen, die mich lange Zeit geprägt haben, die mich an meine eigenen Grenzen gebracht haben. Aber – und das ist wahrscheinlich das Entscheidende – sie haben mich weiterentwickelt.