Früher war alles besser! Oder doch nicht?

50 Jahre Ehe von Oma und Opa. Das waren noch gute Zeiten! War früher wirklich alles viel besser oder warum neigen wir dazu, die Vergangenheit zu verklären? beziehungsweise-Autorin Christiane Lénard über den Reiz und die Gründe falscher Nostalgie

Unser autobiographisches Gedächtnis, also der Teil des Gedächtnisses, der für die Speicherung von Erinnerungen und Informationen im eigenen Lebensverlauf zuständig ist, hat große Bedeutung für unser Selbstbild, unsere Identität (1). Nur leider nimmt es unser autobiographisches Gedächtnis nicht so ganz genau mit der korrekten Abbildung der Vergangenheit, es ist recht ungenau und selektiv, es filtert Ereignisse, verdrängt, verzerrt und beschönigt sie.

Die Fakten sprechen dagegen

Anders ist es auch nicht zu erklären, dass es so viele Vergangenheitsverklärer gibt, denn wenn man sich die Tatsachen anschaut, gibt es keinen Grund für die Behauptung (2), früher sei alles besser gewesen. In vielerlei Hinsicht. Nicht nur wenn wir uns die vielen Aspekte in Medizin und Gesundheit, Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Einkommen, Bildung, Technik usw. anschauen.

Auch wenn wir auf die Geschichte der Liebe, romantischer Verbindungen, Ehe und Gleichberechtigung von Mann und Frau oder auch alternativer Beziehungsformen blicken, muss die Brille schon sehr rosarot sein, um hier ins Schwärmen geraten zu können.

Einfach so verabreden zum ersten Date? Mal eine Nacht im Hotel verbringen? Und Verhütung, natürlich, wenn überhaupt, Sache der Frau und schiefgehen, durfte nichts, das war in jedem Fall ein Dilemma. Nach der Heirat verwaltete er das Geld, selbst wenn sie es in die Ehe gebracht hatte und auch sonst alles. Sie kümmerte sich um seine Bequemlichkeit, den Haushalt und die Kinder, die im Übrigen auch nicht viel zu melden hatten (schwarze Pädagogik) (3). Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung waren keine Maximen der vergangenen Zeit.

Dass diese Art der Beschneidung eigener Wünsche und Bestrebungen auch Einfluss auf das Beziehungsmiteinander hatte, dürfte wohl jedem klar sein. Frauen hatten sich aufs andächtige Zuhören zu beschränken: „Lassen Sie ihn reden! Hören Sie ihm viel zu. Reden Sie wenig und weniger noch von sich selbst. Vor allem, hören Sie ihm mit Geduld zu. Sie werden dabei lernen.“ (4) Gefühle waren nur selten Inhalt für Gespräche und noch weniger gehörten Sie in die Öffentlichkeit. Hier „(…) jedoch sind sie völlig fehl am Platze und zeugen von schlechtem Geschmack, denn sie machen sowohl ihn als auch Sie lächerlich…“ (5).

Das erste Mal, es war so schön

Wenn die Fakten nun eigentlich ganz und gar dagegen sprechen, uns in die schöne Vergangenheit zurückzuwünschen, stellt sich doch die Frage, warum wir Menschen dennoch dazu tendieren. Und das umso mehr, je älter wir werden. Letzteres ist einem Phänomen geschuldet, dass die Wissenschaft Reminiscence Bump (Erinnerungshügel) nennt.


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