Die goldene Mitte und Ergänzung sind besser für die Partnerschaft
Wir alle sind mit einer unterschiedlich getönten Brille unterwegs. Unsere mehr oder weniger ausgeprägte positive Grundeinstellung gehört zu unserer Persönlichkeit. Wir können zwar lernen (Glücks-Coaches und Lehrmeister des positiven Denkens füllen massenhaft Bücherregale), die Hürden des Lebens leichter zu nehmen, unsere Bewertungen in die eine oder andere Richtung zu verschieben, aber es hilft uns überhaupt nicht, den Blick für die Realität mit einer rosaroten Brille zu verstellen.
Für eine Partnerschaft können sich in diesem Merkmal leicht verschieden veranlagte Partner zwar wunderbar ergänzen: Wenn der eine dazu neigt, dem eigenen Glück zu misstrauen, dem kann ein positiv denkendes Gegenüber eine andere Perspektive eröffnen und wer sich schnell mitreißen lässt, der findet bei einem kritischeren Partner Bodenhaftung. Allerdings hat dieser Ausgleich seine Grenzen. Wer sich partout einem Realitätsabgleich verwehrt, der sollte einem Partner damit nicht zur Last fallen. Kritikfähigkeit, Distanz und Objektivität stellt uns unser Verstand zur Seite, damit wir schwierigen Entwicklungen entgegenwirken können, Neues nicht mit Gutem verwechseln, Genuss nicht mit Glück, dem Leichtsinn nicht Tür und Tor öffnen und nicht auf einer Wolke davongetragen werden.
Wenn wir uns die Welt nur schönreden oder -filtern, dann hört sie auf zu existieren.
Unechtheit verliert das Vertrauen und Nähe
Es kommt noch etwas hinzu, was ich schon eingangs kurz erwähnte. Würden Sie Pippi Langstrumpf anvertrauen, dass Sie in ernsthaften Schwierigkeiten stecken, finanzielle oder gesundheitliche Probleme haben, Ihre Großmutter im Sterben liegt oder Sie nicht wissen, wie Sie Ihrem Chef sagen, dass Sie mit den Arbeitsbedingungen nicht zufrieden sind? Leider reicht in vielen Fällen unseres Lebens ein „Ach, wird schon alles wieder gut“ nicht aus. Wenn Ihr Partner Ihre Sorgen immer nur mit einem Lächeln abtut, werden Sie ihm irgendwann nicht mehr glauben, dass er wirklich mit Ihnen fühlt. Sie werden überhaupt keine echten Gefühle von ihm erwarten und sich von ihm entfernen. Und das sollten Sie, zu Ihrem eigenen Schutz. Ihre Aufrichtigkeit und Echtheit haben einen Partner verdient, der damit etwas anfangen kann. Den Anderen lassen Sie mal schön in seiner Blase oder virtuellen Welt.
Das gilt im Übrigen auch für die Online-Partnersuche. Klar, wir würden nicht das allerletzte verschlurfte Foto von uns präsentieren, wenn wir jemanden für uns gewinnen möchten. Aber wenn Sie denjenigen das erste Mal in der Realität begegnen und überhaupt keine Ähnlichkeit feststellen können und nur Geschichten von großen Erfolgen und Sonnenschein hören, sollten Sie Reißaus nehmen. Zwischen gesundem Optimismus und völliger Verklärung liegen Welten, die zu überwinden Sie keine Zeit verschwenden sollten.
Eigentlich auch zu bedauern
Ich persönlich habe ja immer etwas Mitleid mit den wandelnden Sonnenscheinen. Denn letztlich ist es doch so, wenn hier nicht eine wahnhafte Verzerrung der Wirklichkeit und damit Pathologie oder schlichtweg fehlende Vernunft und geistige Gesundheit vorliegen, dann steckt in dem „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ auch immer ein „Ich mach mir die Welt, wie sie EUCH gefällt.“ Und das ist für diese Person doch außerordentlich bedauerlich. Wie gruselig muss es sein, morgens nicht das im Spiegel zu betrachten, was man am Tag zuvor noch zur Schau gestellt und dafür Bewunderung geerntet hat? Welcher Druck muss entstehen und auch welche Überforderung muss es auslösen, immer nur den schönen Schein seiner selbst präsentieren zu müssen? Das kann tiefe Identitätskrisen auslösen. Und nebenbei ist es sauanstrengend. Zwei mal drei ist eben doch nicht vier. Oder man hat sich verrechnet.
1 Tali Sharot: The Optimism Bias: A Tour of the Irrationally Positive Brain. Pantheon Books, New York 2011