Zwischen Hoffnung und Schweigen
Denn es war so: Sie hatte einen Freund. Einen festen, den sie liebte, da gab’s nichts zu rühren. Versuchte er aber auch erst gar nicht, denn wer gut erzogen ist, lässt vergebene Frauen schließlich in Ruhe. Auch wenn er an keine andere denken konnte. Klar, die ersten Monate an der Uni waren bewegend, ab und zu passierte auch mal was mit anderen. Aber mit jedem Wiedersehen manifestierte sich ihr Gesicht in seinem Herz, sodass alle anderen schnell wieder verblassten. Ohne sich auch nur das Geringste anmerken zu lassen, manövrierte er sich durch gemeinsame Lernabende, reichlich beschwipste Unipartys und – am schlimmsten – quälend lange Semesterferien ohne sie. Die beiden wurden Freunde, besser als gar nichts, dachte er. Nichtsahnend, dass er bald alles bekommen sollte.
Jetzt oder nie
Das Studium neigte sich langsam dem Ende, drei Jahre hatte er bereits die Freundschaftsfassade hoch- und konsequent seine Klappe gehalten. Geändert hatte sich an seinen Gefühlen nichts. Im Gegenteil: Der Gedanke, sie nach dem Abschluss nicht mehr permanent um sich zu haben, kreiste unaufhörlich in seinem Kopf, bis er eines Tages alles auf eine Karte setzte. Was soll’s dachte er, als sie eines Abends beieinander saßen – bald ist sie ohnehin auf und davon, jetzt ist es also auch egal. Er bat sie, einfach nur zuzuhören. Und sagte ihr alles. Beschrieb die emotionale Achterbahnfahrt seit ihrer allerersten Begegnung, sein Hoffen und Resignieren, und dass sie die Frau seines Lebens sei.
Was lange währt, wird endlich gut
Der Redner macht eine bedeutungsschwere Pause. Und obwohl ich natürlich weiß, was jetzt kommen muss, spüre ich vor lauter Freude über den Ausgang der Geschichte Tränen über meine Wangen kullern. Und dann durchlebt die versammelte Gästeschar das große Finale einer Liebesgeschichte, wie sie schöner kaum geschrieben werden könnte: Einige Minuten lang sagte sie gar nichts, schaute ihn nur aus ungläubigen Augen an. Und als er sich schon vorkam wie der größte Idiot auf Erden und seine Worte mit einem „Sorry, vergiss es einfach“ wieder wegwischen wollte – da gestand sie, dass sie all die Jahre genauso gefühlt hatte. Vom allerersten Tag an, ohne den Hauch einer Ahnung, dass es ihm genauso ging. Man mag sich kaum vorstellen, was passiert wäre, wenn er geschwiegen hätte.