Er will zum Glück auch. Also ziehen wir zusammen. Ich lasse meine niedlichen Kerzenständer und bemalten Steine und Blumenlichterketten in einer Kiste, denn er mag es lieber minimalistisch. Gefällt mir ja auch, irgendwie. Nur wo ich die Kiste hinpacken soll, weiß ich nicht. »Der Keller ist total voll. Ich weiß ehrlich gesagt selbst nicht genau, was da alles drin ist. Muss ich mal ausmisten«, sagt er.
Ich schiebe die Türen des großen Einbauschranks auseinander. Und stutze. Wo ist denn der Minimalismus hin? Im Schrank war wohl kein Platz mehr für ihn. So kann man es auch machen, damit es ordentlich aussieht – einfach alles in den Schrank stopfen, Tür zu und hoffen, dass sie zu bleibt. Michael muss das schon einige Jahre praktizieren, denn der Schrank ist so voll wie die U-Bahn in Tokio zur Rushhour, wenn in dieser U-Bahn auch noch der halbe Flohmarkt vom Mauerpark mitfahren würde. Ich schiebe und stopfe, aber es ist nichts zu machen. Bevor ich das komplexe Kräfteverhältnis des in jahrelanger Stopfarbeit aufgetürmten Hausrats durcheinanderbringe und unter einer Lawine aus alten Barttrimmern, ISDN-Modems und unbenutzten Sportgeräten erschlagen werde, gebe ich auf.
Er nickt zerknirscht. »Uh, stimmt, da müsste ich dringend mal Ordnung machen. Habe ich schon ewig vor.«
Ich bin verliebt und finde das süß. Meine Krimskramskiste stelle ich kurzerhand zu meiner Freundin Mara auf den Flohmarkt. Alles für einen Euro. Ich bin ein bisschen gerührt. Über die Freude, die jemand an meiner alten Glitzerlampe hat. Und über mich, die sich so einfach davon trennt. Ein bisschen dekoriere ich unsere gemeinsame Wohnung aber doch. Ein paar bunte Kissen auf dem Sofa, das gefällt ihm auch, sagt er. Das ist doch ein schöner Kompromiss in unserer erwachsenen Beziehung. Wir sind uns so einig. Plötzlich fällt uns auf: Wenn wir beide Kinder machen, werden das vermutlich die großartigsten Menschen, die die Welt je erlebt hat. Das dürfen wir der Menschheit nicht vorenthalten. Begeistert machen wir uns ans Werk. Erfolgreich.
In der Schwangerschaft lassen die Hormone oder irgendwas mich häuslicher werden, ich koche und backe plötzlich und finde alles Mögliche niedlich und kuschelig und heimelig und möchte unsere Wohnung damit vollstellen. Nestbautrieb nennt mein Mann das. Wir haben inzwischen geheiratet. Deswegen räume ich irgendwann sogar die Küchenschränke aus. Hier hat mein Ehemann offenbar ein ähnliches Ordnungskonzept verfolgt wie beim Einbauschrank. Amüsiert werfe ich Asia-Nudel-Päckchen weg, die vor fünf Jahren abgelaufen sind, und wische tote Tierchen aus den Ecken der Schubladen. Natürlich mache ich etwas mehr im Haushalt als er, ich bringe sogar seine Hemden in die Reinigung, weil ich als schwangere, freiberufliche Schauspielerin doch auch mehr Zeit habe als er. Aber immerhin – er kocht immer noch für mich. Selbstverständlich räume ich danach auf, alles andere wäre ja unfair. Mein Mann kocht spektakulär, aber man merkt trotzdem, dass ich viel mehr Zeit in der Küche verbringe als er. Ich weiß immer, wo die Käsereibe ist, denke schon beim Kochen daran, wie die Küche hinterher aussehen wird, und betreibe nebenher ständig Schadensbegrenzung. Ich schmeiße die Zwiebelschalen in den Müll, während die Soße reduziert, wische die Arbeitsplatte ab und stelle die Butter zurück in den Kühlschrank. Wenn die Bolognese auf den Tisch kommt, ist die Küche sauber. Er macht das anders. Wenn er nach dreieinhalb Stunden hingebungsvollen Rührens und Abschmeckens gegen halb elf abends seine Bolognese aus Lammschulter, Rinderbeinscheiben und handgezupftem Schweinenacken serviert, sieht die Küche aus, als hätte dort ein stark sehbehinderter Aktionskünstler auf Speed gewütet. Und als Aktionskunst sieht er das natürlich auch. Er lässt das alles stehen und liegen, voller Stolz als Zeugnis und Denkmal seines Werkes, welches den flüchtigen Moment eines köstlichen Essens überdauert und seinem Schöpfer zur Ehre gereicht, bis sich alles gut festgebacken hat und der krönende Abschluss meines Abends am Spülbecken stattfindet. In Villabajo wird währenddessen schon gefeiert. Ich wollte immer sein wie die in Villabajo. Effektive Organisation, damit mehr Zeit zum Feiern ist. Die lassen nichts antrocknen und Häutchen bilden, und die schalten auch bestimmt nicht die Spülmaschine mit vier Weingläsern drin ein, während sich darüber das blanke Grausen stapelt.
»Die kriegen einen milchigen Schleier, wenn man die nicht separat spült! Und es war die zweite Spülmaschinenladung des Abends«, soll ich Sie wissen lassen. Mein Mann macht sich große Sorgen, dass er hier falsch dargestellt wird – völlig zu Recht natürlich. Aber es ist ja schließlich mein Buch, oder?
Trotzdem genieße ich die Zeit der Schwangerschaft. Ich arbeite weniger – als Schauspielerin praktisch zwangsläufig, denn mit dem Bauch bin ich schwer für was anderes als eine Schwangere zu besetzen. Und die kleine Rolle im Kinofilm fällt flach, weil es fies wäre, wenn eine schwangere Stewardess abstürzt. Schreiben funktioniert noch, aber langes Sitzen ist nicht gut für meine neue Körperform. Dafür unternehmen wir viel zu zweit. Wir gehen ins Kino und auf Konzerte, wir verreisen noch mal zusammen, ich esse alles, was ich möchte, werde rund wie eine Robbe, und er liebt mich immer noch.
Das erste Kind ist da! Das Leben ist durcheinander. Aber das macht nichts. Erst mal. Wir sind beide übermüdet, vollgekotzt und ungewaschen. Wir bestellen öfter mal Essen vom Lieferdienst und schlafen ein, ehe er klingelt. Immerhin schaffe ich es meistens, die Waschmaschine anzustellen, ehe wir alle nur noch nackt rumlaufen können. Wir kaufen einen Wäschetrockner und amüsieren uns darüber, dass wir jetzt auch so ein Spießerteil haben. Aber ich muss zugeben, dass es praktisch ist.
Dazwischen bewundern wir das großartige Kind, das schon so einzigartig lächeln kann, so hochbegabt robben und so musikalisch brabbeln. Dann ist seine Väterzeit zu Ende, und er geht wieder arbeiten. Klar, dass ich ihn nachts schlafen lasse, er muss ja im Büro mit erwachsenen Menschen sprechen. Ich muss nur einigermaßen funktionieren, mit dem Baby kuscheln und bisschen den Haushalt machen. So traumhaft ist mein Leben als Hausfrau und Mutter.
So ein Haushalt ist ein Fass ohne Boden, denke ich plötzlich, als ich mit Baby vorm Bauch und Einkäufen auf dem Rücken in den fünften Stock schnaufe. Hatte ich mir das Leben so vorgestellt? Als Hausfrau und Mutter? Dauernd muss ich Wäsche waschen, trocknen und dann auch noch zusammenlegen und in die Schränke räumen. Dauernd muss ich was einkaufen, dauernd muss ich was wegräumen, um zwei Meter weiter wieder über was anderes zu stolpern.
»Wäre super, wenn wir den Einbauschrank benutzen könnten«, sage ich zu meinem Mann. »Den wolltest du doch schon lange mal entrümpeln.«
»Puh, ja, wollte ich. Mach ich auch. Am Wochenende.« Ein paarmal habe ich noch nachgefragt. Und was soll ich euch sagen? Er hat es gemacht! An dem Wochenende, bevor wir umgezogen sind. Drei Jahre später.
Ich will nicht nur Hausfrau und Mutter sein, denn das ist mir auf Dauer zu langweilig. Mein Beruf macht mir Spaß. Und ich möchte eigenes Geld verdienen. Also fange ich wieder an zu arbeiten. Durch die Schwangerschaft war ich ja eine Weile raus aus dem Job, jetzt muss ich mich bemerkbar machen, mir originelle Geschichten ausdenken, meinen After-Baby-Body in Form bringen. Und es klappt. Ich entwickle ein YouTube-Format und bekomme einen Buchvertrag. Viel Arbeit, aber irgendwann wird sich das auszahlen, da bin ich sicher. Es ist toll, auch wieder mit Erwachsenen reden zu können. Allerdings bleibt dafür kaum Zeit. Ich lerne schnell, extrem effizient zu arbeiten, denn ich muss den Kleinen ja aus der Kita abholen, vorher schnell einkaufen und nach dem Spielplatz Abendessen kochen. Ich krieg das alles irgendwie hin. Aber jetzt stehe ich ständig unter Strom, mache mir Listen, im Kopf und auf Papier und im Smartphone, damit ich an alle Termine denke, alle Sachen einkaufe und auch mal den Babysitter für einen Abend zu zweit organisiere.