Kompromisse suchen und Besonderheiten schätzen lernen
Sie müssen sich klarmachen, dass Ihr autistischer Partner in jeder sozialen Situation erst lernen muss, was sie bedeutet und wie man sich angemessen verhält. Was bei Ihnen automatisch funktioniert, wird er sich mühsam und mit Ihrer Unterstützung erarbeiten müssen.
In diesen Beziehungen wird von beiden Partnern viel Kompromissbereitschaft verlangt, es wird darum gehen, einen Weg zu finden, mit dem beiden Seiten leben können, ohne ganz auf ihre Bedürfnisse zu verzichten. Ohne Ihr Wohlwollen und zum Teil große Zugeständnisse wird es nicht gehen.
Überdies fällt es vielen Aspergern nicht leicht, körperliche Nähe auszuhalten, insbesondere wenn es sich um leichte und zärtliche Berührungen handelt. Hier sind Freiräume und auch räumliche Rückzugsmöglichkeiten wichtig. Ihre Herausforderung wird es sein, zu akzeptieren, dass Sie Ihren Partner nicht ändern können. Seine autistische Störung ist Teil von ihm und er wird sie nicht einfach ablegen können. Auch nicht für Ihre Liebe, so sehr er es auch wollte.
Stattdessen sollten Sie sich immer wieder darauf besinnen, warum Sie sich in Ihren Partner verliebt haben. Neben allen Unwägbarkeiten, beneiden Sie ihn nicht manchmal auch um seine Unabhängigkeit von den Meinungen anderer, seinen Möglichkeiten, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren und an alles Gesehene im Detail zu erinnern? Sie werden sich absolut auf Ihren Partner verlassen können, er ist sehr zuverlässig und sehr ehrlich. Wenn er sich Ihnen öffnet, werden Sie immer direkt wissen, woran Sie sind. Keine Manipulation oder „so tun als ob“, lügen kann er nur unter größter Anstrengung und ist dann sofort zu durchschauen.
Schauen wir zurück zu unserem eingangs beschriebenen Paar, Merle und Ralf. Auf Initiative von Merle haben sie und Ralf eine Paarberatung aufgesucht. Hier geht es vor allem darum, die Wahrnehmungen und Erlebnisweisen des anderen zu benennen und zu verstehen. Das brachte für beide eine Erleichterung, da sie die Reaktionen des anderen so besser einzuordnen wissen. Sie haben die Absprache getroffen, dass Merle Ralf sofort darauf anspricht, wenn ihr auffällt, dass er sich in einer Situation „unangemessen“ verhält (z.B. im Zusammensein mit Freunden) und ihm spiegelt, wie sein Verhalten bei anderen und ihr ankommt. Ralf versucht seinerseits einzuüben, Merle und seine Familie in seine Gedankengänge einzubeziehen. Auch wenn es ein wenig artifiziell wirkt, er hat sich z.B. aufgeschrieben, Bescheid zu sagen, wenn er sich in sein Zimmer zum Musikhören zurückziehen möchte und seine Familie nicht im Unerklärten „er ist einfach weg“ -Gefühl und vor abgeschlossener Tür zurückzulassen. Das Wichtigste ist, dass ihre Partnerschaft von Liebe getragen ist und beide daran festhalten wollen. Was Merle in der Zeit vor der Paarberatung immer mal wieder in Frage gestellt hatte, ob er Gefühle für sie hat und sie es schafft, ihre Familie zusammenzuhalten und seine „Besonderheiten“ zu kompensieren, stand für Ralf dagegen nie zur Debatte „Aber für mich ist doch alles klar, wir sind zusammen und das wird so bleiben. Was sollte ich mir darum Gedanken machen. Wir müssen doch nur noch ein bisschen schauen, dass wir es nicht so schwer haben.“ Und darauf kann sich Merle absolut verlassen.
*In den internationalen Klassifikationssystemen für mentale Krankheiten (DSM-5 von 2013 und dem Entwurf des ICD-11 erwartet in 2018) wird das Asperger Syndrom nicht mehr als Einzelstörung ausgewiesen.