Das Asperger-Syndrom zählt zu den Autismus-Spektrum-Störungen. Die Betroffen haben insbesondere Probleme in der sozialen Interaktion. Das stellt auch die Partnerschaft vor eine große Herausforderung. Wie man dennoch eine glückliche und auf jeden Fall besondere Beziehung miteinander führen kann, weiß unsere Autorin
Merle und Ralf kennen sich seit zehn Jahren. Sie weiß noch genau, dass sie damals fasziniert war von seiner Andersartigkeit. Er scherte sich nicht darum, was andere über ihn denken. Manchmal wirkte er etwas abweisend oder kühl, Small Talk führte er nie. Stattdessen konnte er ihr stundenlang die kleinsten Details über eine bestimmte, seltene Meeresschneckenart erzählen, die er bei seinen Tauchurlauben ausdauernd und mit Hingabe fotografierte. Er war absolut verlässlich und ehrlich. Seine Art, ihr seine Zuneigung zu zeigen, war kreativ und sonderbar. Er schickte ihr Musik und kleine seltsame Kärtchen mit Bildern darauf.
Als sie zusammenzogen, wurden seine Eigenheiten auffälliger. Es war kaum möglich, spontan mit ihm etwas zu unternehmen. Flexibilität und Anpassung waren nicht seine Stärken. Auch nicht beim Essen. Wenn sein bestimmtes Vollkornbrot nicht da war, aß er lieber nichts als ein anderes Brot zu probieren. In seinem Job als Geophysiker war er anerkannt. In seinem Spezialgebiet „Magnetismus im Tiefseeschlamm“ war er von der wissenschaftlichen Gemeinschaft sehr geachtet. Hin und wieder gab es ein paar Kommunikationsprobleme mit den Kollegen, befreundet war er mit keinem. Auch sonst hatte er keine Freunde. Für die Kontakte war Merle verantwortlich, sie war die treibende Kraft für alle Treffen mit Freunden und sozialen Aktivitäten und es machte ihr Spaß, alles zusammenzuhalten und zu organisieren.
Als ihre beiden Kinder geboren wurden, waren sie zunächst glücklich, aber es taten sich bald große Probleme im Alltag auf. Ralf fühlte sich von allen Erfordernissen, den fehlenden Rückzugsmöglichkeiten und Unberechenbarkeiten des Alltags überfordert. Er zog sich mehr und mehr aus dem Familienleben zurück. Oft saß er mit Kopfhörern in seinem Arbeitszimmer und hörte Musik. Bei Gesprächen und Konflikten sagte er nichts, selbst wenn seine Frau oder seine Tochter den Tränen nahe waren, stand er schweigend daneben und konnte sie nicht tröstend in den Arm nehmen. Merle fühlte sich hilflos und fragte sich immer wieder, woher sie die Kraft nehmen sollte, alles zusammenzuhalten. Auch fehlte ihr die Nähe und der Austausch mit einem gleichberechtigten Partner. Wie kann sie es schaffen, nicht an seiner Liebe und ihrer Beziehung zu zweifeln, wenn so wenig von ihm kommt? Wie kann sie mit jemandem zusammenleben, der niemanden „braucht“, der kaum etwas von sich mitteilen mag und mit dem man kein gemeinsames Interesse teilen kann?
Was ist das Asperger Syndrom?
Bei der in diesem Fall geschilderten Problematik von Ralf handelt es sich um eine milde Form des Autismus. Das Asperger Syndrom* gehört zu den so genannten Autismus-Spektrum-Störungen. Dabei handelt es sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in den meisten Fällen schon in der Kindheit offensichtlich wird. Betroffene Menschen fallen zunächst durch ihre Sonderbarkeit und soziale Rückgezogenheit auf. Ihre Kommunikationsmöglichkeiten sind eingeschränkt, sie zeichnen sich durch stereotype Verhaltensweisen und ausgeprägte Spezialinteressen aus. Anders als bei schwereren Autismus-Störungen haben Asperger Autisten in der Regel keinen allgemeinen Entwicklungsrückstand oder eine verzögerte oder fehlende Sprachentwicklung. Die intellektuellen Fähigkeiten sind nicht eingeschränkt, teilweise werden Insel- oder Hochbegabungen berichtet. Darüber hinaus können sich motorische Auffälligkeiten, vor allem Ungeschicklichkeiten, zeigen. Autistische Störungen gelten als angeboren.